Es gibt Menschen, die an Gesichtsblindheit leiden. Durch diese Krankheit können sie Gesichter nicht erkennen und voneinander unterscheiden. Doch im Alltag kommen viele damit gut zurecht.
Sylvia Tippmann kann Gesichter nur schwer auseinanderhalten. Wenn sie Bekannte und Kollegen trifft, kann sie sie manchmal nicht erkennen. Sie erzählt: „Manche reagieren sehr verärgert. Es kommt auch vor, dass mich andere als arrogant wahrnehmen, weil ich mir die Leute nicht merken kann.“
Psychologen nennen diese Störung Gesichtsblindheit. Die Krankheit ist meistens angeboren. Doch auch Verletzungen in bestimmten Gehirnregionen können dazu führen. Janek Lobmaier, Professor für Biologische und Kognitive Psychologie an der Universität Bern, schätzt, dass mindestens drei von hundert Menschen bei der Gesichtserkennung Schwierigkeiten haben.
Wenn Menschen ein Gesicht sehen, verarbeitet ein Teil des Gehirns Mimik und Blickbewegungen, ein anderer die Merkmale eines Gesichts. Ein dritter überprüft, ob es bereits Erlebnisse mit der Person gab. Wenn ein Teil nicht funktioniert, kommt es zu Problemen. Lobmaier erklärt: „Alle Bereiche müssen gut zusammenspielen, um das Erkennen zu ermöglichen – wie in einem Orchester.“
Trotzdem ist Gesichtsblindheit für viele Betroffene im Alltag unproblematisch. Sie erkennen die Menschen zum Beispiel daran, wie sie laufen, wie sie sich kleiden oder wie sie sprechen. Auch Sylvia Tippmann greift auf diesen Trick zurück. Sie sagt: „Im Studium habe ich mir meine Kommilitonen anhand ihrer Schuhe gemerkt.“Glossar
mit etwas zurecht|kommen – in einer bestimmten Situation oder Umgebung ohne Probleme leben können
etwas auseinander|halten – etwas unterscheiden
verärgert – wütend; beleidigt
jemanden als etwas wahr|nehmen – glauben, dass jemand etwas ist
arrogant –eingebildet
Psychologe, -n/Psychologin, -nen – der/die Wissenschaftler im Bereich der Psychologie
Störung, -en (f.) – hier: die Krankheit
Region, -en (f.) – die Gegend; das Gebiet; hier auch: der Bereich
zu etwas führen – der Grund für etwas sein; etwas zur Folge haben
kognitiv – das Denken betreffend
etwas schätzen – hier: etwas glauben; etwas vermuten
Mimik, -en (f.) – die Art, wie jemand sein Gesicht (z. B. Mund und Augen) bei der Kommunikation bewegt; der Gesichtsausdruck
zusammen|spielen – gemeinsam etwas tun
etwas ermöglichen – etwas möglich machen
auf etwas zurück|greifen – etwas benutzen
Trick, -s (m.) – hier: die schlaue Lösung
Kommilitone, -n/Kommilitonin, -nen – der Mitstudent/die Mitstudentin
anhand etwas – mithilfe von etwas; unter Berücksichtigung von etwas