Alle Gesetze in Deutschland müssen vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden. Joachim Gauck weigerte sich, das Gesetz zum Fiskalpakt und zum Euro- Rettungsschirm zu unterzeichnen. Kein Einzelfall in der Geschichte.
Ohne Zustimmung des Bundespräsidenten kann kein Gesetz in Deutschland in Kraft treten. Dadurch soll Willkür ausgeschlossen werden. In der Verfassung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als wichtigste Regel festgelegt, dass sich alle Verfassungsorgane gegenseitig kontrollieren.
Wenn der Bundestag ein neues Gesetz vorschlägt, muss der Bundespräsident mit seinen Beratern prüfen, ob es auch der deutschen Verfassung entspricht. Gibt es Zweifel, muss das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, entscheiden. Die meisten Bundespräsidenten haben mindestens einmal in ihrer Amtszeit geplanten Gesetzen nicht zugestimmt und ihre Unterschrift verweigert.
Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau zum Beispiel wollte 2002 einem Gesetz zum Umgang mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten nicht zustimmen. Etwa zwei Drittel dieser Flüchtlinge wären abgeschoben worden. Rau nutzte damals eine Methode, die sich später durchgesetzt hat: Er äußerte seine Zweifel und gab die Sache an das Bundesverfassungsgericht weiter. Das Gericht lehnte die Bestimmungen als verfassungswidrig ab.
Einem anderen Gesetzentwurf nach sollte es erlaubt werden, durch Terroristen entführte Flugzeuge abzuschießen. Bundespräsident Horst Köhler unterschrieb das Gesetz 2005 zwar nach langer Prüfung, sorgte aber dafür, dass sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigte und es am Ende ablehnte. Auch ein Gesetz zur Sicherheit von Atomkraftwerken kam 1994 nicht zustande, weil Bundespräsident Roman Herzog nicht unterschrieb. Weltweit gilt das deutsche Kontrollsystem für Gesetze als vorbildlich
Glossar
etwas unterzeichnen – etwas unterschreiben
sich weigern, etwas zu tun – hier: etwas nicht tun, weil man es aus wichtigen Gründen ablehnt
Fiskalpakt, der – der Name eines Vertrages der europäischen Staaten zur stärkeren Zusammenarbeit im Bereich Finanzpolitik
Euro- Rettungsschirm, der – der Name für die Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung der Euro-Staaten
in Kraft treten – wirksam werden; gültig werden (in Bezug auf Gesetze)
Willkür, die – das Handeln nach eigenem Willen; das Handeln ohne die Folgen für andere zu bedenken
Verfassung, die – die rechtliche Grundordnung eines Staates (in Deutschland das Grundgesetz)
Organ, das – hier: die Institution; die Behörde
Bundestag, der – das deutsche Parlament
etwas entspricht einer Sache – hier: etwas ist so, dass es keine Regeln verletzt
Umgang, der – hier: die Art und Weise, wie man in einer Sache handelt
Flüchtling, der – jemand, der sein Land aus einem bestimmten Grund (z. B. Krieg, Hunger) verlässt und in ein anderes Land geht
jemanden abschieben – hier: jemanden, der Asyl sucht, in sein Land zurückschicken
etwas setzt sich durch – hier: etwas wird häufig auf eine bestimmte Art und Weise gemacht
verfassungswidrig – so, dass etwas gegen die →Verfassung ist
Gesetzentwurf, der – das Gesetz, das noch nicht gilt
etwas kommt zustande – hier: etwas wird offiziell
etwas ist vorbildlich – etwas ist so gut und richtig, dass es andere genauso machen.