Berlins große Kunstschätze ziehen Jahr für Jahr viele Menschen in die deutsche Hauptstadt. Auch Caspar David Friedrichs Bild der Mönch am Meer hat viele Bewunderer, einer von ihnen ist Bin Chuen Choi.
Das erste Mal hat der Hongkonger Künstler Bin Chuen Choi sein Lieblingsbild in der Alten Nationalgalerie in Berlin gesehen. "Als ich das Bild das erste Mal gesehen habe, dachte ich, das Thema ist zwar sehr bekannt. Aber so kompromisslos ein Bild zu malen, ist doch etwas ganz Besonderes." Seither sieht sich der chinesische Künstler das Gemälde immer wieder an: den schier endlosen Himmel und das schwarze, trostlose Meer; auf der kahlen Landspitze steht, winzig und verloren, ein Mönch.
Das Individuum mit seinen Gefühlen und in seiner Einsamkeit so in den Mittelpunkt zu stellen, war außergewöhnlich in der Epoche der Romantik. "Damals hat man eher die Natur nachgeahmt", erklärt Bin Chuen Choi, "während Caspar David Friedrich versucht hat, ungreifbare Empfindungen sichtbar zu machen." Vielleicht spricht das Bild des einflussreichen Romantikers deshalb seit fast 200 Jahren so viele Menschen an. “Der Mönch am Meer“ wurde zu einer Identifikationsfigur für Sinnsuchende, Melancholiker und Einsame, sein Bild eine universell verständliche Ikone der deutschen Romantik.
Friedrich hat zwei Jahre lang an "Der Mönch am Meer" gemalt, während er selbst von Depressionen geplagt war. Bin Chuen Choi erkennt in dem Werk einen Künstler im Schwebezustand zwischen Verzweiflung und Hoffnung: "Als ich mir das Bild länger angeschaut habe, erkannte ich genau über dem Mönch eine Öffnung in den Wolken, durch die Licht einfällt. Ich nehme an, dass Caspar David Friedrich keine Zufälle zulässt. Er hat schließlich sehr lang an diesem Bild gearbeitet. Somit spiegelt sich in diesem Bild auch ein bisschen Hoffnung wieder."
GLOSSAR
schier - nahezu
kahl - leer, unbewachsen
trostlos – trist
winzig – sehr klein
verloren – hier: einsam
außergewöhnlich – nicht normal
Epoche, die – ein längerer Zeitraum, der sich durch eine oder mehrer Gemeinsamkeiten auszeichnet
nachahmen – nachmachen, kopieren
ungreifbar – nicht zu verstehen
Identifikationsfigur, die – eine Figur mit der sich viele andere gefühlsmäßig gleichsetzen
Sinnsuchende, der/die – jemand, der nach der tieferen Bedeutung der Dinge sucht
Melancholiker/in, der/der – jemand der leidet; ein zu Schwermut und Traurigkeit neigender Mensch
universell – allumfassend
Ikone, die – das Kultbild
Depression, die – die Niedergeschlagenheit; die traurige Stimmung
Schwebezustand, der – hier: ein Zwischending