Viel Zeit bleibt nicht mehr – deutsche Sprachinseln in Gefahr
Die Muttersprache ist im Allgemeinen die Sprache, die man am besten beherrscht. Doch sie kann auch zur fremden Sprache werden – so zum Beispiel bei den deutschen Minderheiten in Osteuropa und Zentralasien.
Die deutschen Dialekte in Osteuropa sind nur noch sporadisch zu finden und dienen kaum noch als Mittel der Verständigung. Sie sind daher ein begehrtes Forschungsobjekt für Sprachwissenschaftler. Für Hermann Scheuriger und Alfred Wildfeuer gleicht die Arbeit in der Ukraine einer Zeitreise. Etwa 3.000 bis 5.000 Menschen sprechen im Westen des Landes, in Transkarpatien, heute noch Deutsch, genauer: alte, deutsche Dialekte.
Sprachwissenschaftler konservieren heute die verbliebenen deutschen Dialekte in der Ukraine, in Kasachstan und in Russland auf Tonbändern. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Vor 1990 gab es noch zahlreiche zusammenhängende deutsche Sprachinseln. Das heißt, in mehreren nebeneinander liegenden Dörfern einer Region wurde Deutsch gesprochen. Doch durch die starke Abwanderung der Bevölkerung nach Deutschland sind fast alle so genannten Sprachinseln verschwunden oder löchrig geworden. Seit es weniger zusammenhängende Regionen gibt, in denen Deutsch gesprochen wird, verschwindet das Deutsche immer schneller.
Das Geothe-Institut versucht, die Sprache der deutschen Minderheiten zu erhalten. Es gibt Sprachkurse für jene, die des Deutschen nicht mehr mächtig sind und Kulturangebote, die ein aktuelles Deutschlandbild vermitteln sollen. Doch die deutschstämmigen Bewohner in Russland, Kasachstan oder der Ukraine sprechen nicht nur alte Dialekte, sie lieben und schätzen auch ein sehr altes Deutschlandbild. "Ihnen geht es hauptsächlich um Folklore, Kostüme, Fahnen“, sagt Werner Jost vom Goethe-Institut. "Es geht um Tänze, Gesänge und ähnliche Dinge, in denen sie ihre Identität finden. Uns reicht das nicht. Wir verstehen unter Identität, die in die Zukunft reicht, etwas anderes. Da versuchen wir sie dann vorsichtig hinzubringen."
Das Leben zwischen zwei Kulturen und Sprachen ist für die Betroffenen fast immer sehr schwierig. Im harten Alltag in Russland, der Ukraine oder Kasachstan gelingt es heute nur wenigen die deutsche Herkunft und besonders die Kenntnisse der deutschen Sprache als Chance zu begreifen.