Am 10. Juli 2001 protestierten in Santiago de Chile wütende Demonstranten gegen Augusto Pinochet Ugarte. Ein Gericht hatte gerade das Verfahren gegen den greisen Ex-Diktator des Landes eingestellt.
Dienstag, 10. Juli 2001. Im Zentrum der Hauptstadt Santiago de Chile toben Straßenschlachten. Polizisten treiben mit Schlagstöcken und Tränengas Demonstranten auseinander. Zur gleichen Zeit steigt im noblen Vorort La Dehesa vor der Villa des greisen Ex-Diktators Pinochet eine Jubelfeier. Die Pinochetistas hatten Grund zur Freude: Das Berufungsgericht von Santiago hat das Verfahren gegen den 85-Jährigen eingestellt. Der Grund ist wenig schmeichelhaft: Psychiater haben ihm Altersschwachsinn attestiert. Damit sinken die Chancen, ihn wegen der von ihm befohlenen Morde und Folterungen juristisch zu belangen, gegen Null. "Eine Schande für Chile", erklärt der Interessenverband der Diktaturopfer in Santiago.
Diktator mit Freunden im Westen
Augusto Pinochet Ugarte symbolisiert wie kein Zweiter die skrupellosen Diktaturen Südamerikas. In Uniform, mit Schirmmütze und dunkler Sonnenbrille, finster dreinblickend präsentierte sich der General seinem Volk 17 Jahre lang, zwischen 1973 und 1990, als Retter des Vaterlandes vor dem Kommunismus und als neoliberaler Erneuerer der maroden chilenischen Wirtschaft. In diesem Land bewegt sich kein Blatt, ohne dass ich es weiß, prahlte er.
Vielen Chilenen ging es, sofern sie nicht zu den immer ärmer werdenden Armen zählten, wirtschaftlich gut. Das für Lateinamerika beispiellose Wirtschaftswachstum des Landes sicherte dem Diktator viele Anhänger; obwohl seine Herrschaft 3.200 Regimegegner das Leben kostete, obwohl 28.000 Menschen brutal gefoltert wurden und Hunderttausende ins Exil gingen. Die Demokratie muss gelegentlich in Blut gebadet werden, damit sie fortbestehen kann, verkündete Pinochet. Trotzdem hatte er Freunde auch im Westen, beispielsweise die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Und schon beim blutigen Putsch vom September 1973 gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende hatte der amerikanische CIA die Fäden gezogen.
So offenbarte Pinochets Herrschaft nicht nur die tiefen Widersprüche im eigenen Land, sondern auch die blinden Flecken im Menschenrechtsverständnis westlicher Demokratien.
1990 musste Pinochet dann doch zurücktreten, weil bei einer Volksabstimmung 53 Prozent der Chilenen gegen seinen Verbleib im Amt gestimmt hatten. Doch als Oberbefehlshaber der einflussreichen Armee zwang er die chilenische Demokratie weiterhin in ein militärisches Korsett.
Kein Zeichen von Reue
Die sensationelle Wende kam acht Jahre später: Als Pinochet im Oktober `98 zur ärztlichen Behandlung in England weilte, erließ ein spanischer Richter Haftbefehl gegen ihn und beantragte seine Auslieferung. Schließlich waren auch Spanier unter Pinochet zu Tode gekommen. Doch aus medizinischen Gründen entließ man ihn schließlich ungeschoren in die Heimat. Bei seiner Ankunft am Flughafen von Santiago erhob sich der Greis aus dem Rollstuhl und schritt, unter den Klängen der Militärkapelle, erstaunlich vital über das Rollfeld. Trotzdem: Die Luft wurde dünn für den Ex-Diktator. Enthüllungen über Steuerhinterziehung kosteten ihn viele Sympathien. Die Aufhebung seiner Immunität ermöglichte Verhöre und Prozesse nun auch in Chile - aber immer wieder verhinderten ärztliche Atteste eine Verurteilung - bis zu seinem Tod.Pinochet zeigte kein Zeichen von Reue.
So bleibt den Opfern nur eine Genugtuung: Im März 2006 kam die Sozialistin Michelle Bachelet, eine Verfolgte Pinochets, an die Regierung. Und die verweigerte dem General nach seinem Tod im Dezember 2006 ein Staatsbegräbnis.