Ernst Haeckel war auf dem Höhepunkt seines Ruhms als Zoologe und Weltdeuter, als er am 30. Juli 1908 der Universität Leipzig das "Phyletische Museum" schenkte. Darin wollte er seine Sicht der Evolution verkünden.
Es sind alte biologische Schautafeln; gestochen scharfe Lithographien von Einzellern aus dem Meer, Quallen, Kalkschwämmen. Und sie sind umwerfend schön. Porträtiert hat diese fremden Wesen der Naturforscher Ernst Haeckel. Er machte sogar aus dem glibberigen Gewürm, vor dem man sich auf dem Fischmarkt ekelt, ätherische Schönheiten.
Ernst Haeckels Karriere beginnt 1860. Mit 26 Jahren schreibt er seiner Braut aus Messina einen euphorischen Brief von seiner ersten Forschungsreise: Schon wieder sind ihm am Morgen auf dem Meer zwölf neue Arten in sein feines Netz gegangen! Haeckel hat es auf Strahlentierchen abgesehen. Deren winzige Kalkskelette systematisiert er später unter dem Mikroskop und veröffentlicht die filigranen Wesen auf Zeichentafeln. Das Buch begründet seinen Ruf als genialer Systematiker von Lebensformen, Haeckels erster Schritt zum Professor für Zoologie in Jena.
Manische Arbeit an einer Idee
Aber in noch einer anderen Hinsicht ist 1860 Haeckels Schicksalsjahr: Kurz zuvor ist Charles Darwins "Über die Entstehung der Arten" erschienen - und Haeckel stimmt begeistert zu: Nicht Gott hat die Lebewesen in einem einmaligen Schöpfungsakt auf die Erde gesetzt, sondern alle Arten sind veränderlich, und sämtliche Organismen sind miteinander über weit zurückreichende Stammbäume verwandt.
Und damit beginnt ein seltsames Drama. Es wird Haeckels Lebenswerk, Darwin so zu deuten, wie es nach Darwin gar nicht möglich ist. Nach Darwin ist die Evolution das Ergebnis von Zufällen, die sich in der Entwicklung der Arten entweder durchsetzen oder eben nicht. Haeckel aber, der Systematiker, sieht eine zwingende Ordnung in der Evolution: All das scheinbar Zufällige überwölbt er mit einem großen Prinzip, das hinter allem steckt: mit dem Prinzip der Symmetrie. Für Haeckel entstehen die unterschiedlichen Lebensformen alle aus einer einfachen Urlebensform, an deren Rändern später immer weitere, immer variantenreichere symmetrische Anbauten hinzu kamen - bis zu den komplexen Lebensformen von heute.
Jahrzehnte lang arbeitet Haeckel manisch an dieser Idee. Buch um Buch veröffentlicht er mit seinen großartigen Abbildungstafeln. Schon längst schreibt er für ein großes populärwissenschaftliches Publikum. Allein die "Welträthsel" von 1899 verkaufen sich über 450.000mal. Und Haeckels Bilder beeinflussen sogar Jugendstil und Art Déco. Seine Tiefseetiere inspirieren Möbel-, Lampen- und Schmuckdesigner. Und noch viel mehr: Haeckel wird zur Galionsfigur der antiklerikalen Bewegung. "Kein göttlicher Schöpfungsakt!" heißt die Botschaft seiner Anhänger. Nach seinen öffentlichen Großveranstaltungen werden stolz die Kirchenaustritte gezählt.
Mensch als Höhepunkt der Symmetrie
Dabei erspart Haeckel den Zeitgenossen genau das, was an Darwins Theorie eigentlich das Erschreckendste ist: die Vorstellung, dass auch der Mensch nichts weiter ist als ein Zufall der Natur. Für Haeckel war der Mensch der Höhepunkt einer immer komplexer werdenden symmetrischen Entwicklung des Lebens. Unterm Strich blieb somit der Mensch die Krone der Schöpfung - trotz aller Kirchenaustritte!
1907 erbaute sich Haeckel in Jena sogar ein eigenes Museum. Wissenschaft und ein guter Schuss Persönlichkeitskult um ihn selbst sollten hier präsentiert werden. Am 30. Juli 1908 schenkte er den Neubau der Universität Jena. Doch schon der erste Direktor war zu Haeckels Zorn für seine Ideen nicht mehr zu haben. Das Museum gibt es noch heute. Haeckels Idee liegt auf einem abgestorbenen Ast der Biologie-Geschichte.