Plötzlich war Amelia Earhart verschwunden, irgendwo über dem Ozean. Die Flugpionierin hatte den Flug um die Welt gewagt. Am 2. Juli 1937 wurde ihr letztes Funksignal über dem Pazifik abgefangen.
Schweben, das hat uns einfach schon immer gefallen. Wenn für uns einer was Besonderes sein wollte, dann musste er schon ein bisschen schweben können. Angeblich seit dem Neolithikum. Ob Schamane, Prophet, Gott, Hexe oder Fee - ohne ging es nicht. Nirgendwo auf der Welt. Mit welchen Mitteln Fliegen und Schweben vor sich ging, das war uns erst mal nicht so wichtig. Ob da magische Kräfte, Zaubersalben, Besen oder wundersame Koffer im Spiel waren - alles war uns Recht, nur in der Luft musste etwas stattfinden. Auch eine schlichte Himmelfahrt war in Ordnung. Die war ebenfalls auf der ganzen Welt beliebt.
Als es dann in der westlichen Welt so weit war, dass jedermann das Fliegen lernen konnte, um sich stundenlang im Himmel aufzuhalten, haben wir wieder nicht anders gekonnt - wir haben die Flieger nach Strich und Faden verehrt. Wir haben sie zu Helden gemacht. Neben den Piloten verblassten die Konstrukteure der Maschinen - war uns ja schon immer wurscht gewesen, wie und womit einer in den Himmel kam. Oben musste er sein. Je länger, desto besser. Rekord um Rekord stellten die Piloten auf: Bauwerke wurden umflogen, überflogen, Brücken sogar unterflogen, Preise wurden ausgesetzt, Leben riskiert. Und bei all diesen waghalsigen Unternehmen in den Lüften mischten auch die Frauen von Anfang an mit.
Eine der berühmtesten frühen Fliegerinnen war Amelia Earhart. Eine Amerikanerin, die mit 25 Jahren ihren ersten Weltrekord aufstellte: Sie flog rund 4300 Meter hoch. Höher war 1922 keine Frau zuvor gestiegen. Zumindest nicht seit dem Neolithikum! Angaben über die Flughöhe von Göttinnen oder Feen sind leider nicht bekannt.
Was aber Amelia Earhart angeht: Sie wurde in Amerika schlicht zur Heldin der Lüfte. Als sie 1928 - genau ein Jahr nach Charles Lindbergh - auch noch wie er den Atlantik überflog, nannte man sie nur noch "Lady Lindy". Eine hohe Auszeichnung in den goldenen Zwanzigern! Schließlich war Charles Lindbergh der weltweit gefeierte Superstar.
Aber Amelia Earhart eignete sich eben auch vorzüglich zur Verehrung. Sie kam aus kleinen Verhältnissen, pflegte Verwundete im 1. Weltkrieg und wurde auf einer "Air Show", einem Luftzirkus, von der Fliegerei fasziniert. Schon ein Jahr später hatte sie den Pilotenschein, und ein weiteres Jahr darauf lieferte sie ihren ersten Weltrekord. Kurz: eine amerikanische Bilderbuchkarriere. Dazu kommt ihre zarte Gestalt, ihr blondes Haar, beides würde jeder Fee Ehre machen. Vor allem aber scheint Amelia Earhart in der Luft in ihrem Element. Sie übertrumpft männliche Bestmarken und fasziniert mit einem Flugrekord nach dem anderen.
Nur einen ankündigten Rekord hat sie nicht erreicht. Das war, als sie rund um die Welt fliegen wollte. Von einer Stoppelpiste im heutigen Papua-Neuguinea ist sie mit ihrem Navigator gestartet, in einer zweimotorigen Lockheed Electra, doch ihr Ziel, eine winzige Insel im Ozean, hat sie nie erreicht. Am 2. Juli 1937 wurde ihr letztes Funksignal über dem Pazifik abgefangen: "Fliegen Nord-Süd". Seit dem ist sie spurlos verschwunden. Natürlich sind sofort Verschwörungstheorien über ihren Verbleib aufgekommen: Amelia Earhart habe als Spionin weitergearbeitet, und die riesige Suchaktion nach ihrem Flugzeug hätte einzig ihrer Tarnung gedient. Oder: Sie habe als Mätresse des Kaisers Hirohito weitergelebt.
Einige vermuteten sogar sie sei von Außerirdischen entführt worden, und dubiose Knochenfunde sollen eine Art Robinson-Crusoe-Lebensende auf einer kleinen Insel belegen. Egal. Für uns schwebt Amelia Earhart immer noch irgendwie oben in den Lüften - und ist ein Mythos geworden.