Am Anfang stand ein großes Picknick. Das fiel zwar ins Wasser, sollte aber trotzdem globale Konsequenzen haben. Am 6. Mai 1992 veranstaltete Mary Evans Young den weltweit ersten Anti-Diät-Tag.
Was hätte wohl Kaiserin Sissi bei einem ihrer üblichen Mittagessen - bestehend aus gesalzenem rohem Eiweiß - zur Idee von Mary Evans Young gesagt? Was Wilhelm der Eroberer, der, um abzuspecken, Unmengen von Wein trank und so seinen Hunger betäubte? Was Maria Callas, die sich angeblich zum gleichen Zweck einen Bandwurm in den Darm einpflanzen ließ? Oder Lord Byron? Er konsumierte große Mengen Kautabak, um sein Idealgewicht zu erreichen. Was all die anderen, Millionen, die es auf andere Art versuchten? Zum Beispiel durch 20minütiges Schwitzen bei 50 Grad oder durch Wegbeten in Diät-Gebet-Clubs und die Lektüre von Büchern wie "Pray Your Weight Away" oder "Help Lord - The Devil Wants Me Fat". Durch das Verengen des Magens mit Hilfe von Klammern oder das Absaugen von Fett oder einfach durch den Verzicht auf Kohlenhydrate oder Fette oder Eiweiße oder einfach alles, was schmeckt und Spaß macht.
Danke!
Es ist zu hoffen, dass sie alle ein Wort zu Mary Evans Young gesagt hätten: Danke! Denn diese Engländerin rief am 6. Mai 1992 den ersten weltweiten Anti-Diät-Tag ins Leben aus Protest gegen Schlankheitswahn, gesundheitsschädliche Diäten und Essstörungen. Auslöser war der Selbstmord eines 15jährigen Mädchens, das damit nicht klar kam, so "dick" zu sein - es hatte Kleidergröße 40! Mary Evans Young wandte sich an die Medien mit dem Satz "Fat Women Bites Back". In einem Fernsehinterview rief sie spontan den Anti-Diät-Tag aus, der mit einem großen Picknick im Hyde Park gefeiert werden sollte. Aufgrund von Regen fand er dann in ihrem Wohnzimmer statt. Doch das verhinderte nicht, dass der Anti-Diät-Tag schon im folgenden Jahr auch in vielen anderen Ländern begangen wurde und bis heute begangen wird - auch in Deutschland.
Selbst war Mary Evans Young eine überzeugte Diät-Abbrecherin und Teil der so genannten Fat-Feminism-Bewegung. Diese sieht - und das wohl zu recht - den Grund für die Plackerei mit der Nahrungsaufnahme weniger in gesundheitlichen Problemen als im Druck der Umwelt auf die Fettleibigen, kurz: in der Diskriminierung der Dicken. Denn heute gelten Schlanke als intelligent, sexy und flexibel während den Dicken das Vorurteil anhängt minderwertig, unattraktiv, faul und wenig kompetent zu sein. Das kann zu Benachteiligungen im sozialen wie im Arbeitsleben führen.
Wozu der ganze Unsinn?
Früher, als die Ressourcen noch knapp waren, war das noch anders. Da waren Rundungen ein Machtbeweis, ein König musste dick sein. Heute ist das Idealbild eher der durchtrainierte Manager. Und Frauen sollen eher Gazellen gleichen als menschlichen Lebewesen, man betrachte nur die immer dünneren Modells bei Miss America.
Dabei ist bewiesen, dass über 90 Prozent der Reduktionsdiäten nicht zu dauerhafter Gewichtsreduzierung führen. Neben den Bäuchen wächst vor allem die Diät-Industrie unaufhörlich. Sie verdient sich an der selbst auferlegten Sisyphos-Arbeit eines riesigen Bevölkerungsteils ein Vermögen. Wozu der ganze Unsinn?
Wer also gerade dabei ist, einem nie erreichbaren Idealbild nachzueifern, der sollte - wann, wenn nicht heute - mal eine Pause einlegen und gemeinsam mit vielen anderen seinen Kleiderschrank ausmisten, Diät-Kochbücher entsorgen, in den Spiegel blicken und sagen: "Ich bin wie ich bin" und "danke, Mary Evans Young".