Ein Kultfilm, alljährlich fester Bestandteil des Weihnachtsprogramms. Seine Dreharbeiten erschufen im Sommer Schnee - der leider ein wenig nach Fisch roch. Autorin: Leo Hoffmann
Weite Schneelandschaften, tierische Freunde, eine von Grund auf böse Stiefmutter: Am 19. Dezember 1974 läuft ein Märchenfilm in den Kinos der Bundesrepublik Deutschland an, eine Koproduktion zwischen ČSSR und DDR beziehungsweise zwischen den staatlichen Filmstudios Barrandov in Prag und DEFA in Babelsberg. Sein Titel: "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel".
Drehbuch eines Lagerarbeiters
Heute, über 40 Jahre nachdem seine letzte Klappe gefallen ist, hat dieser Film Kultstatus! Dabei dürfte es ihn eigentlich gar nicht geben! Warum?
Sowenig, wie der zielgenaue Jäger im Film ein Jäger ist, so wenig ist die im Vorspann genannte Fernsehdramaturgin Bohumila Zelenková die Autorin des Drehbuchs. Das draufgängerische, stolze Mädchen, das seine Stiefmutter mit Asche einnebelt, um ihr die Grenzen der Unterdrückung zu zeigen, stammt aus der Feder des Dramaturgen und Theaterleiters František Pavlíček. Des ehemaligen Dramaturgen und Theaterleiters! Für seinen Einsatz im Prager Frühling hat die kommunistische Regierung Pavlíček zum Lagerarbeiter degradiert, Veröffentlichungsverbot inklusive. Ein Drehbuch einreichen? Unmöglich! Doch, dem Aschenbrödel nicht unähnlich, nebeln Pavlíčeks Freunde das Regime ein: Sie bitten Bohumila Zelenková sich als Verfasserin des Buchs auszugeben. Die übernimmt das hohe Risiko dieser getarnten Autorschaft und überarbeitet in geheimen Treffen mit dem Verfemten die Dialoge. Daher ziert ihr Name Pavlíčeks größten Erfolg.
In "Tři oříšky pro Popelku", so der tschechische Titel, fällt aus der zweiten Nuss ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe. Auch dieses Kleid dürfte es nicht geben, denn das Budget beträgt drei Millionen Kronen - viel zu wenig für silbergewirkte Kostüme. Doch gewinnen Pavlíčeks Freunde, die auch die Freunde des Regisseurs Václav Vorlíček sind, die DEFA als Koproduzentin: Sie verdoppelt das Budget! Eine Ausstattung im Stil der Renaissance, wie sie Vorlíček vorschwebt, kann (Film-)Realität werden.
Die Bedingungen der DEFA geben Vorlíček weitere Haselnüsse zu knacken! Der Film soll zu gleichen Teilen mit deutschen und tschechischen Schauspielern besetzt in beiden Ländern gedreht werden. Ein begnadetes Team macht’s möglich: Die originale Tonspur zeichnet tschechisch-deutsche Dialoge auf, deren Sprecher einander nicht verstehen, jedoch aufs Überzeugendste miteinander spielen!
Fischschnee
Damit nicht genug: Weil in ihren Studios Kurzarbeit droht, verlegt die DEFA den Drehbeginn auf Winter. Pavlíčeks Buch aber spielt im Sommer! Kurzerhand arbeitet Vorlíček es um. Nur leider fehlt bei Drehtermin an der Moritzburg der Schnee. Das Team behilft sich mit Chemie - was den Denkmalschutz der DDR auf den Plan bringt. Also bestäubt man Baumstämme und Wege mit Fischmehl: In größtem Gestank kutschiert der König samt Gefolge auf sein Schloss!
Wie in jedem Märchen sind die Unmöglichkeiten hiermit noch nicht ausgereizt: Im Böhmerwald, wo der Gutshof steht, fallen die Flocken so pausenlos, dass Filmcrew und Pferde bis zu den Ohren darin versinken! Ebenso fällt die Temperatur: Bei minus 21 Grad galoppieren der Prinz und sein Aschenbrödel in Sommerkleidung in ihr Happy End!
Ist es ein Wunder, dass die "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" Kult wurden?