Mancher Witz hat wirklich einen Bart und vieles ist irgendwann ein alter Zopf - Zar Peter der Große will es in seinem Russland aber modern und anders, also lautet seine Devise: Weg mit Gesichtsbehaarung! Autor: Ulrich Trebbin
Ein schwer zu verkraftendes Phänomen des Lebens ist, dass nichts bleibt, wie es war. Man sträubt sich also gegen Veränderung - schon gar wenn sie nicht gewünscht ist. Der Philosoph hat leicht reden: "Alles fließt", sagt er oder: "Man steigt niemals in denselben Fluss." Hört sich ja soweit auch nicht schlimm an. Aber wenn dann der Zahn der Zeit am eigenen Leben herumknuspert, dann kann das schon mal Zähneklappern auslösen. Zum Beispiel wenn in der Firma plötzlich die eigene Abteilung aufgelöst wird, wenn der Ehepartner einen verlässt, die Kinder aus dem Haus gehen oder die schöne, alte Linde vorm Haus sich eines Tages als morsch erweist und umgesägt wird.
Den Weg, den alle Dinge gehen…
Kluge Staatenlenker und Unternehmensbosse wissen allerdings, dass Trott und Routine zu Stillstand führen! Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Er richtet sich ein und wird behäbig! Und genau deshalb hat Zar Peter der Große seinem lieben Russland eine Rosskur der Veränderung verordnet. Er war gerade von einer langen Reise durch Westeuropa zurückgekommen. Dort hatte er in einer niederländischen Werft eine Zimmermannslehre absolviert, den Höfen Deutschlands, Italiens oder Österreichs Besuche abgestattet und ausgiebig die jeweiligen Sitten, Denkweisen und Strukturen studiert. Kaum heimgekehrt will der 26-Jährige sein Land nach westeuropäischem Vorbild modernisieren: vor allem natürlich die Wirtschaft, aber auch das Schulwesen, die Schrift, die Kleidung, die Verwaltung, die Armee und die Kirche.
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Mit den alten Zöpfen will Zar Peter den Russen aber auch gleich noch die rückständigen Bärte abschneiden! Schließlich hat er im modernen Westen kaum Menschen mit Wangenhaar gesehen.
Also lädt er am 5. September 1698 viele Würdenträger zu einem Empfang ein und rasiert bei der Gelegenheit den ehrwürdigen und verdutzten Männern eigenhändig die Bärte ab - verschont bleiben nur der Patriarch, ein hochbetagter Fürst und sein früherer Vormund.
"Bart ab! ", heißt es fortan, und wer sich dem Rasiergebot nicht fügen will, der muss pro Jahr 100 Rubel Bartsteuer bezahlen. Als Beleg bekommen die verstockten Bartträger eine Kupfermünze in die Hand gedrückt, auf die die untere Hälfte eines bärtigen Gesichtes geprägt ist. Wer außerhalb seines Hauses ohne diese Münze angetroffen wird, der muss sich auf der Stelle dem Rasiermesser beugen - ausgenommen bleiben nur Geistliche und Bauern.
Man kann sich vorstellen, was für ein Aufschrei durch die russische Männerwelt ging. War doch der Bart seit Jahrhunderten das sichtbare Zeichen der männlichen Würde! Darüber hinaus hielten Russlands Altgläubige unbehaarte Männerwangen für eine Sünde. Wenn sie nicht auswanderten, bewahrten sie ihre abrasierten Bärte auf, um sich dereinst mit ihnen begraben zu lassen - gewissermaßen als irdisches Beweisstück fürs Jenseits.