Das Maurergeheimnis sollte im Mittelalter sicherstellen, dass auf dem Bau keine Pfuscher unterwegs waren. Doch die Freimaurer der Aufklärung gaben sich für den Geschmack der Kirche dann doch zu liberal. Autor: Christian Feldmann
"Satan muss im Vatikan regieren, der Papst wird sein Sklave sein!" Mit wüsten Sprechchören und drohend geschwungenen Teufelsfahnen veranstalteten italienische Freimaurer-Logen 1917 ein Happening auf dem Petersplatz. Aber auch die katholische Seite kämpfte mit harten Bandagen: Papst Leo XIII. hatte die Freimaurerei in einer Enzyklika eine aus dem Neid des Teufels geborene Gegenkirche genannt.
Geheime Riten und Symbole
Dass sich Freimaurer und Kirchenfürsten bis aufs Blut bekämpften, war allerdings nicht immer so gewesen. Die freien Maurerbünde des Mittelalters hatten ein ausgesprochen gutes Verhältnis zur Kirche. Sie stellten sich unter das Patronat des heiligen Johannes des Täufers. Dass sie ein wenig Brimborium mit ihren Riten und Symbolen veranstalteten und ihre geheimen Zeichen und Handgriffe durch einen feierlichen Eid sicherten, störte niemanden: Mit der nur für Eingeweihte verständlichen Sprache schützte man sich vor Werksspionage. Und nicht zuletzt sollte das so genannte Maurergeheimnis sicherstellen, dass nur wirklich qualifizierte Arbeiter bei öffentlichen Bauten beschäftigt wurden. Schließlich sollten die in schwindelnde Höhen hochgezogenen Dome und Rathäuser nicht gleich wieder einstürzen.
Auch der englische Geistliche James Anderson hatte keine Attacken auf das Christentum im Sinn, als er 1723 den vier Londoner Logen ein richtig schön aufgeklärt klingendes Programm gab; die britischen Freimaurer wollten sich modern präsentieren, ohne die alten Zöpfe aus dem Mittelalter. Der rechte Maurer werde "weder ein dummer Gottesleugner noch ein Wüstling ohne Religion" sein, schrieb ihnen Anderson ins Stammbuch. "Aber man hält es jetzt doch für ratsam", so Anderson, "sich bloß zu der Religion zu verpflichten, in welcher alle Menschen übereinstimmen, und jedem seine besondere Meinung zu lassen."
"Wenn sie nichts Böses täten, würden sie nicht so sehr das Licht hassen"
Das war dann doch schwere Kost für die Kirche. Was blieb da noch? Bloß ein religiöses Minimal-Credo mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der Glaube an einen Baumeister und Lenker der Welten, und keine Verpflichtung auf eine griffige Offenbarung oder kirchliche Gemeinschaft.
Dieses Toleranzprogramm genügte, um einen tiefen Graben zwischen Freimaurerei und die Institution Kirche zu ziehen. Je mehr die Freimaurer der Aufklärungsepoche von Gedankenfreiheit, Brüderlichkeit und sozialem Fortschritt schwärmten, umso unerbittlicher schlugen ihnen Theologen und Päpste den Vorwurf der "Diktatur des Relativismus" um die Ohren. Man verwehrte ihnen kirchliche Eheschließung und kirchliches Begräbnis und erklärte sie für automatisch exkommuniziert.
Der Höhepunkt des Kreuzzugs: Am 28. April 1738 erließ Papst Clemens XII. eine Verdammungsbulle, die den Freimaurern aus ihrer Geheimniskrämerei einen Strick drehte. "Wenn sie nichts Böses täten, würden sie nicht so sehr das Licht hassen", argumentierte der greise Papst; ein hochbegabter Jurist und Finanzexperte, der die katholische Welt vom Bett aus regierte, blind und krank, aber mit einem eisernen Willen.