Zu einer Zeit, in der es asphaltierte Straßen nur in Großstädten gab, und Autos in vielen Teilen der Welt noch völlig unbekannt waren, brach Clärenore Stinnes auf, um die Welt zu umrunden - in einer Serienlimousine. Autorin: Prisca Straub
"Ich heiße Stinnes und fahre im Auto um die Erde. Noch Fragen?" Die Journalisten sind sprachlos.
Nun war die durchsetzungsfreudige Clärenore Stinnes durchaus nicht irgendwer: Als sie sich zu ihrer Weltreise entschließt, genießt die 26-Jährige bereits beachtlichen Ruhm als Europas erfolgreichste Rennfahrerin. Außerdem ist sie die Tochter eines schwerreichen Industriellen mit besten diplomatischen Beziehungen in alle Welt. Die werden sich auf der langen Fahrt als überlebensnotwenig erweisen.
Gas geben!
Das Gefährt stellt die Firma Adler aus Frankfurt zur Verfügung: Keinen Geländewagen wohlgemerkt, sondern einen Standard 6 mit 45 PS - ein Monstrum mit geschwungenen Radkappen und riesigem Kühleraufsatz. Als einzige Veränderung lässt Stinnes zwei Liegesitze einbauen, um auf der Reise bequemer übernachten zu können.
Für den Beifahrersitz wählt sie den schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström: "Weil", so findet sie, "die Schweden so geduldig sind. Und außerdem ist er ja verheiratet!" Söderström soll das halsbrecherische Unternehmen auf Zelluloid bannen. Hätte er geahnt, dass die Reise mit mehr als zwei Jahren fast doppelt so lange dauern würde wie geplant und seine Ehe darüber in die Brüche gehen sollte - der Mann hätte sich vermutlich anders entschieden. Doch so dreht am 25. Mai 1927 "das verehrte Fräulein Stinnes" in Frankfurt zum Auftakt den Zündschlüssel.
Die gute Stimmung ändert sich schlagartig: Schon am zweiten Tag geht bei Prag die Kupplung drauf. Stinnes mahnt zur Eile und streicht als erstes das Mittagessen. Sie will Sibirien noch vor Einbruch des Winters passieren. Söderström beginnt es, mulmig zu werden. Um auf mindestens 40.000 gefahrene Kilometer zu kommen - die Zahl, die dem Erdumfang entspricht - wählt Stinnes nicht die direkte Route nach Moskau, sondern fährt Umwege über Beirut, Damaskus und Bagdad.
Clärenore bietet Carl-Axel das Du an
Spätestens jetzt weiß Söderström, dass hinter dem Lenkrad eine sitzt, die "aus Stahl gemacht zu sein scheint!" Er selbst ist definitiv aus anderem Material: 40-Stunden-Etappen, Hunger, Durst, Hitze, Regen - das Unternehmen wird eine Schinderei sondergleichen. Hinzu kommen diplomatische Verwicklungen, die Stinnes mal mit Hilfe des prominenten Namen ihres Vaters mal einfach nur mit Frechheit löst: Kraftausdrücke sind im Tonfall ja international. "Man muss sich fast von jedem Platz wegschleichen", schreibt ein peinlich berührter Söderström in sein Tagebuch. Endlich in Sibirien, riskieren sie auf dem zugefrorenen Baikalsee ihr Leben: Um ein Haar versinkt die Limousine in einer Eisspalte. Immerhin: Clärenore bietet Carl-Axel das Du an.
Nachdem das Auto per Schiff nach Amerika verfrachtet ist, beginnt der schwerste Teil der Reise: Peru - vom Meer hinauf über die Kordilleren auf 3.000 Meter Höhe. Die Steigungen von bis zu 60 Grad sind nur noch mit dem Flaschenzug zu bewältigen. Stellenweise muss der Weg mit Dynamit frei gesprengt werden. Nach der Durchquerung Nordamerikas geht es schließlich von New York mit dem Dampfer nach Le Havre. Im Sommer 1929 erreichen Stinnes und Söderström endlich Berlin. Der Kilometerzähler steht auf über 46.000.