Das gebirgige Qinghai im Nordwesten Chinas ist eine Provinz, in der der Buddhismus weit verbreitet ist. In diesem religiösen Umfeld ist im Laufe der Jahrhunderte eine Kunstform entstanden, die sich Rebgung-Thangka nennt. Heute erlebt diese Form des buddhistischen Rollbildes in China einen wahren Boom.
Jedes Thangka hat eine eigene Geschichte, sagt Niangben. Der 40-Jährige Künstler hat sich auf die Herstellung von buddhistischen Rollbildern oder Thangkas konzentriert. Die Wände in seinem Atelier sind voll von bunten Thangkas.
Zur Herstellung eines Thangka wird ein ganz besonderes Verfahren angewandt. Ebenfalls außergewöhnlich sind seine wertvollen Farbstoffe, die aus natürlichen Mineralien hergestellt werden. Die goldenen Linien in einem Thangka sind im Normalfall aus echtem Gold. Die Wahl von natürlichen Farben garantiert, dass Thangkas nie abfärben. Nur ein erfahrener Thangka-Künstler beherrscht die feine und präzise Herstellungstechnik.
Das Thangka-Malen ist eine Kunstform, die eng mit dem Lamaismus verbunden ist. Auf Thangkas buddhistische Geschichten zu präsentieren, hat in Tibet eine lange Tradition. Fast alle tibetischen Familien haben ein Buddha-Thangka bei sich zuhause, vor dem sie jeden Tag beten. Die Thangka-Kunst hat sich in den letzten hundert Jahren zu einem festen Bestandteil im Alltagsleben der Tibeter entwickelt. Auch die tibetische Medizin, Meteorologie und Geografie wurden von ihr stark beeinflusst.
Ein besonders beliebtes Thangka-Motiv sind Ereignisse aus dem Leben von Siddhartha Gautama, dem Begründer des Buddhismus. Thangkas stammen ursprünglich aus Indien, fanden aber über Nepal nach und nach ihren Weg ins tibetische Hochland. Heute gehören Thangkas zu einem der wichtigsten Träger des Lamaismus. Die tibetische Kultur wäre ohne sie undenkbar.
Thangkas haben einen religiösen Ursprung. Entsprechend häufig trifft man sie in Tempeln. Im Lamaismus steht ein Thangka-Bild mit einem Konterfei eines Buddhas für Buddha höchstpersönlich. Thangkas haben aber nicht zwangsläufig mit Religion zu tun. Das weiß auch der 40-jährige Niangben:
„Auf Thangkas werden Motive aus der Medizin, der Meteorologie, der Geografie und vielen anderen Themen dargestellt. Sie werden sich in dieser Form noch lange halten. Das ist auch der Grund, warum Thangkas weit herum bekannt sind. Gerade auch deswegen sind sie eines der herausragendsten Beispiele unserer Kultur."
Thangkas sind in Tibet nicht nur aus religiösen Gründen populär. Ihre enorme Popularität hat auch einen ganz praktischen Grund: viele Tibeter ziehen noch immer als Nomaden durch das Hochland. Thangkas können ganz einfach zusammengerollt und leicht transportiert werden.
Bei der Herstellung seiner Thangkas verwendet Niangben je nach Motiv eine andere Maltechnik:
„Das ist mein Werk „Die 18 Schüler von Buddha". Wegen dem Gesichtsausdruck der Figuren habe ich die Gemäldetechnik gewählt. Sieht sehr schön aus, nicht? Auch wenn wir bei der Herstellung unserer Werke neue Elemente einbauen, haben wir die traditionelle Technik nach wie vor nicht vergessen. Die Thangka-Kunst hat auch die Maltechnik der Han-Nationalität beeinflusst. Als ich in Sichuan die Maltechnik akribisch erlernte, schuf ich über 70 Werke, bei denen es sich um eine Kombination aus der Thangka-Maltechnik und herkömmlicher Maltechnik handelt. Zwei dieser Werke stehen jetzt in meinem Ausstellungsraum. Besonders erwähnenswert sind die Farbstoffe der Thangka. Dank diesen Farbstoffen aus Mineralien sehen die Wandmalereien in Dunhuang auch Jahrtausende später noch aus wie neu."
Im September 2009 wurde die Herstellung von Rebgung-Thangkas aus Qinghai in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Seither hat die Thangka-Kunst einen wahren Boom erlebt. Jedes Jahr werden in China 200 bis 300 Millionen Yuan Renminbi für den Kauf von Thangkas ausgegeben.
Die große Nachfrage nach Thangkas hat auch dazu geführt, dass immer mehr Menschen ihre Herstellung erlernen wollen. Derzeit gibt es in China über eintausend Maler, die sich mit der Herstellung von Thangkas befassen. In der Hoffnung auf ein gutes Einkommen interessieren sich inzwischen auch viele Jugendliche für das Erlernen dieser Kunst. Das Zeug zum Thangka-Künstler haben jedoch nur die wenigsten:
„Nach ihrer Ankunft bleiben die Lehrlinge eine Woche hier. In dieser Zeit wird beobachtet, ob sie Talent fürs Malen haben oder nicht. Ohne Talent kann man keine Thangkas malen."
Meister Niangben hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Schüler ausgebildet. Die Herstellung eines Thangka erfordert seiner Meinung nach neben einem gewissen Talent vor allem viel Zeit und Geduld. Selbst für das Malen eines ganz normalen, kleinen Thangkas benötigt er über einen Monat. Der enorme Zeitaufwand hat auch damit zu tun, dass sich der Künstler beim Malen eines Thangka an gewisse buddhistische Regeln halten muss. So muss er beispielsweise vor Arbeitsbeginn Sutren rezitieren und sowohl seine Hände als auch sein Gesicht waschen. Er sagte, wenn man einen Buddha auf ein Thangka malt, dann muss man in einem ganz gelassenen Zustand sein. Man muss vorher im Innern Sutren rezitieren. Erst dann kann man gute Thangkas malen. Nur wer mit einem reinen Herzen und mit dem notwendigen Respekt malt, kann einer Buddha-Figur Leben einhauchen.
Meister Niangben hat im Alter von zwölf Jahren mit dem Erlernen der Thangka-Kunst begonnen. Seither sind 28 Jahre vergangen. Heute setzt er sich auch für den Erhalt und die Weiterverbreitung seiner geliebten Rebgung-Thangkas ein:
„Das Thangka-Malen ist eine Kunst, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Als Künstler bin ich dazu verpflichtet, diese Kunst zu schützen und sie an die nächsten Generationen weiterzugeben."