"Zeit ist Geld, Leistung ist Leben"
China hat sich im Jahr 1979 zur Politik der Reform und Öffnung entschieden. Die Stadt Shenzhen ganz im Süden gilt als Symbol für die chinesische Reform- und Öffnungspolitik. Hier nahe Hongkong entstand der Slogan „Zeit ist Geld, Leistung ist Leben", der schon bald das ganze Festland erfassen sollte. Seither leben die Chinesen im Schnellzugstempo.
„Essen Sie bitte langsam! Sie müssen das Essen genießen!", sagen Chinesen beim Essen oft zu ihren Gästen. Und beim Abschied heißt es dann nicht weniger häufig: „Fahren Sie bitte langsam nach Hause!" So nett die beiden Ausdrücke auch gemeint sind, mehr als Höflichkeitsfloskeln sind sie nicht. Denn so richtig Zeit hat heutzutage auch in China niemand mehr. Überall geht es hastig zu und her. Viele hängen ständig am Handy. Beim Verschicken der Post wird Express-Service bevorzugt. Und reisen tun die meisten am liebsten mit dem Flieger oder der Hochgeschwindigkeitsbahn. Niemand ist bereit, auch nur eine einzige Minute zu verlieren.
Die Wichtigkeit von Geschwindigkeit und Profitmaximierung kommt in allen Bereichen des Alltags zum Ausdruck. Wer an eine Sache herangeht, denkt von allem Anfang an seinen eigenen Vorteil. Alle wollen über Nacht reich werden. Für viele junge Paare kommt eine Hochzeit erst dann in Frage, wenn eine Wohnung und ein Auto vorhanden sind. Auch Herr Wang aus Beijing träumt von einer eigenen Wohnung:
"Der Unterschied zwischen dem Preis für eine Wohnung und unseren Einkommen ist extrem groß. Meine Frau und ich wohnen in der Wohnung, die meine Eltern uns hinterlassen haben. Wir können uns eine Wohnung in einer Großstadt wie Beijing nicht leisten."
Nicht wenige Chinesen fühlen sich jeden Tag, als müssten sie sich auf einem Schlachtfeld behaupten. Sie sind beseelt vom Gedanken, dass ihr ganzes Glück vom schnellen Reichtum abhängt. Leute, die so denken, befürchten, dass sie auf der Strecke bleiben, wenn sie diese oder jene Chance nicht packen. Frau Zhang, die bei einer Immobilienfirma arbeitet, ist eine von ihnen:
"Durch all die Hektik spürt man natürlich auch den Druck: den Arbeitsdruck im Büro, den Leistungsdruck bei der Arbeit, den Druck seitens der Kunden. Hinzu kommen die Rückzahlung der Hypothek und die Erziehung meines Kindes. Sowohl meine Eltern als auch die Eltern meines Mannes mischen sich da ein."
Der rasante Alltag von heute macht viele schwermütig. Was kann man als Individuum in dieser schnelllebigen Zeit noch tun, um sich von der Hektik des Alltags zu befreien? Herr Wang empfiehlt, trotz aller Hektik so gelassen wie möglich zu bleiben:
"Ich mache mir schon gar keine Gedanken mehr darüber. Es nützt ja eh nichts. Am besten ist es, sich nicht darüber aufzuregen und in die Natur hinaus zu gehen, um sich zu entspannen – zum Beispiel in den Vororten."
Auch Li Bin, ein Masterstudent an einer Universität in Beijing, versucht der Hektik und dem Leistungsdruck mit Gelassenheit zu begegnen:
"Gegen den Druck und all die Hektik kann man nichts Besseres tun als Lesen, Sport zu treiben oder sich mit Freunden zu unterhalten."
Die in der Immobilienbranche tätige Frau Zhang hält es ganz ähnlich:
"In der Freizeit versuche ich mich zu entspannen, indem ich mich kulturell bereichere. Etwa indem ich Bücher und Zeitungen lese. Oder ich schaue mir Theaterstücke an. Ich spreche auch oft und gerne mit meiner Familie. Von ihr erhalte ich Rat und Trost."
Liu Mei besitzt einen kleinen Bücherladen. Sie bevorzugt Meditieren, um von der Alltagshektik abzuschalten:
"Ich lese Bücher und schaue mir Fernsehprogramme zum Thema Psychologie an. Manchmal lese ich auch buddhistische Sutren, um mich zu beruhigen, wenn ich bedrückt oder besorgt bin."