Du Vielgeliebte, Dich hab' ich geliebt
Von Deinem ersten Lebensstündlein an,
Als kaum entwunden Du dem Schoß der Mutter,
Dalagst auf ihrem Bette klein und roth,
Die Wangen voll von Fältchen und die Stirn,
Und auch die winz'gen, unbeholfnen Hände.
O, welch' ein Glück, an Deiner Wiege stehn,
Bewundern still, wie schön Du schlafen kannst,
Und Dein Erwachen jubelnd zu begrüßen. —
Was immer meine Nichte that und ließ,
Ich fand es einzig, fand es genial;
So weint' und lachte niemals noch ein Kind,
So kroch noch keins dahin auf allen Vieren
Und sprach: »Tata« mit solchem Nachdruck aus.
Indessen leider! meine gute Meinung —
Weiß Gott, wie's kam — gar viele theilten sie
Und machten sich höchst ungenirt zu eigen,
Was ich entdeckt in angestammter Weisheit.
Allmälig wuchsen hundert Toggenburgen
Empor am Strande Deiner müden Petsch,
Und in den Burgen wohnten hundert Schmachter
Und Schmachterinnen treu bis in den Tod;
Das war ein Werben um klein Stutzis Gunst,
Von Jung und Alt ein Loben, Lieben, Staunen,
Solch' einen Heerbann überzeugter Schmeichler
Besaß nur noch die Königin von Saba.
Wie sie den ihren lenkte, weiß ich nicht,
Doch um so besser denn, wie kurz und stramm
Der Deine ward gehalten. — Keine Faxen!
Die Losung galt, Du gabst sie unbewußt,
Eh' sprechen Du, geschweige denken lerntest.
So trugen wir es heuchlerisch gelassen,
Als Du Dein Herz in feste Hände gabst ...
Was sag' ich, Hände? Pfoten sind's gewesen,
Die langen gelben der verehrten Lady.
Doch hatt' auch sie Rivalen, vielgehaßte:
Kaninchen, Katzen, allerlei Gethier,
In erster Reih' die Ponies. Weißt Du noch,
Wie denen sie mißgönnte Deine Huld?
Und wie bestürzt, wenn ihnen Du geschmeichelt,
Die Alte floh, sich auf die Rampe setzte,
Den Kopf erhob und laut zum Himmel heulte.
Nur eines war mit ihrem Schmerz vergleichbar,
Und ihrem Grimm — der Deine, Kind, als Du
Zu Jahren schon gekommen (ihrer fünf)
»Mémoires d'un âne«, von Comtesse Ségur
Zur Kenntniß nahmst. Die Bonne las Dir vor,
Du stricktest stumm, mit ernstem Pflichtgefühl,
An Deinem ersten Strumpfe. Noch erreichten
Den Boden Deine Beinchen nicht, sie wiegten
Sich leise ... Wie Du horchtest, athemlos,
Durchglüht von Freude, Mitleid oder Zorn
Vom Wirbel bis zur Sohle — je nachdem
Des braven Esels Schicksal sich gestaltet.
Und wenn es rührend wurde, flossen Thränen
In Hellen Strömen auf die Stickerei,
Die soviel Nässe gar nicht schlucken konnte.
Es war ein Anblick — ich vergeß ihn nie!
Und niemals auch, wie Du vor jenem Kitzlein,
Das einst der Jäger aus dem Wald Dir brachte,
Auf Deine beiden Kniee niedersankst,
Es anzufleh'n unendlich liebevoll:
»O fürcht Dich nicht — ich bin ja Deine Mutter!«
Und später dann, als Deine Herren Brüder
Erschienen waren und so redlich halfen
Des Hauses kleinen Abgott anzubeten,
Was für Geschichten gäb's da zu erzählen,
Von einer wilden Hummel stets voran
In jeder Fährlichkeit, und ihren blind
Ergebenen Satelliten. — Doch genug,
Sonst heißt es gleich: das Alter ist geschwätzig.
Nur eins noch höre. Als nach langer Trennung
Du heute kamst mit Deinem schwarzen Zungen
Und seiner blonden Schwester, die kaum zählt
Der Jahre zwei und just so ernsthaft schaut
Wie einstens Du — da fiel mir Alles, Alles
Urplötzlich ein, vom Größten zum Geringsten,
Was wir durchlebt in Treuen ... Ich gedachte,
Wie mit der Zeit sich stets der Kreis erweitert,
In dem ich sucht' und fand mein reinstes Glück:
Wie manches neue, kleine Wesen kam,
Das einen Platz erstrebte zwischen uns
Und ihn erhielt und jedes obendrein
Bei seinem Eintritt auch mein ganzes Herz.
Das ganze Jedes — henkt die Mathematik!
Denn immer noch ein ganzes bleibt mir übrig,
Es zu verschenken, wenn es wieder gilt.
Nicht protzen möcht ich, aber solcher Reichthum
Ist unerhört in meinen hohen Jahren.
Ich dank' ihn Euch, so seid mir denn bedankt,
Ihr Großen und ihr Kleinen, Fernen, Nahen.
Durch meiner Liebe, Eurer Liebe Kraft
Begiebt an mir ein schönes Wunder sich:
»Die Kinderlose hat die meisten Kinder.«