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Aufsätze by Robert Walser:Der fremde Geselle

时间:2023-01-10来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Aufsätze by Robert Walser
Das sind große Unterlassungssünden. Ich bin ein bedeutender Schurke gegen mich selber. An mir sehe ich, wie die Menschen durch Trägheit sündigen. Ich warte immer auf etwas, das mir entgegenzutreten habe. Wie nun, wenn alle Menschen das tun; wenn jeder so wartet auf das, was da kommen soll? Es kommt nie etwas. Es kommt demnach für niemand das betreffende Etwas. Was einer so erwartet und erwartet, kommt nie. Was also alle erwarten, erscheint allen nie. Hier ist die große Sünde. Anstatt daß ich gehe und jemand entgegengehe, warte ich, bis jemand mir gefällig entgegentritt, das ist die rechte Trägheit, der rechte ungerechtfertigte Stolz. Gestern abend schaute ein sonderbarer wildfremder Geselle, der irgend etwas zu suchen schien, zu mir hinauf. Ich stand am offenen Fenster. Ich schaute ihn an, der zu mir hinaufschaute, so, als sei er eines kleinen Zeichens gewärtig. Ich hätte nur zu nicken brauchen mit dem Kopf, und eine seltsame, ungewöhnliche Menschenverbindung wäre vielleicht schon angebahnt gewesen. Vielleicht auch nicht. Wer vermag es zu wissen. Etwas Ungewisses vermag man nicht zu wissen, aber gleichviel. Ich hätte der dunklen, ungewissen, vom zauberischen Abendlicht umflossenen Menschengestalt ein Zeichen geben sollen. Es sah aus, als sei der fremde Mensch einsam, arm und einsam. Doch sah es zur selben Zeit aus, als wisse er viel und vermöge manches, das wert sei, vernommen zu werden, zu erzählen, als sei alles das, was er zu sagen habe, angetan, zu Herzen genommen zu werden. Und warum bin ich ihm nun gar nicht entgegengekommen? Ich begreife mein Benehmen kaum; auf solche Art und Weise kommen sich Menschen in die Nähe und gehen, ohne Spuren zu hinterlassen, wieder voneinander weg. Das ist nicht gut. Das ist eigentlich recht schlecht. Es ist eine rechte Sünde. Nun will ich natürlich eine Ausrede suchen und mir vorsagen, daß an dem Fremdling möglicherweise nichts gelegen sei. Möglicherweise? Da bin ich schon gefangen; denn ich gebe ja zu, daß, auf der andern Seite, d. h. bei anderem Licht besehen, irgend etwas ist an ihm. Ich bin demnach also keineswegs zu entschuldigen. Kalt habe ich den Gesellen, der mir vielleicht ein Freund hätte werden, und dem auch ich ein Freund hätte werden können, abziehen lassen. Seltsam, seltsam. Ich bin erstaunt, nein, ich bin mehr als erstaunt, ich bin ergriffen, und Trauer schleicht sich mir in das Herz.
 
Ich komme mir ganz unverantwortlich vor, und ich könnte sagen, daß ich unglücklich sei. Doch ich liebe die Worte Glück und Unglück nicht; sie sagen nicht das Rechte. Ich habe bereits dem unbekannten Menschen, der zu mir hinaufgeschaut hat, einen Namen gegeben. Ich nenne ihn, wenn ich an ihn denke, Tobold. Mir ist dieser Name zwischen Schlafen und Wachen eingefallen. Wo ist er jetzt, und an was denkt er? Ob es mir wohl möglich sein wird, seine Gedanken zu denken, zu erraten, was er denkt, und das gleiche, wie er, zu denken? Meine Gedanken sind bei ihm, der mich suchte. Offenbar hat er mich gesucht, und ich habe ihn nicht eingeladen, zu mir zu kommen, und er ist dann wieder gegangen. An der Ecke des Hauses hat er sich nochmals umgedreht, dann verschwand er. Ist er nun für immer verschwunden? 
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