Anders als Gleichaltrige verbringt Liu Feng sein Wochenende nicht mit Karaoke oder Kino. Der Grafiker fährt mit ein paar Freunden eine Stunde lang in den westlichen Beijinger Stadtteil Shijingshan. In Shijingshan ist am Wochenende nicht so viel los wie im Zentrum.
Der 31-jährige Liu und seine Freunde tragen einige große Koffer mit Kostümen und Bühnenbildern hinter die Kulissen des Shijingshan Cultural Centres. Es ist zehn Uhr morgens. Sie bereiten sich auf ihre Aufführung um zwei Uhr nachmittags vor: Schminken, Probe, Lautsprecher checken…
Bunt geschminkt, in langen dekorativen Roben und mit langen Schwertern bewaffnet, bringen Liu und seine Freunde „Die Drachen- und Phönix-Halle", ein traditionelles Stück auf die Bühne. Für 200 Zuschauer.
Nach der Aufführung kehren sie zu ihren eigentlichen Identitäten zurück: vom Satelliteningenieur bis zum Manager einer Werbefirma.
Während einige Kulturforscher befürchten, der Jahrhunderte alten Peking-Oper drohe das Aus, arbeiten Liu und seine Freunde fleißig, um die Kunstform wiederzubeleben. Das von Liu 2005 mitbegründete Jugendensemble der Peking-Oper tritt seit zwei Jahren in Shijingshan auf. „Ich interessiere mich für die Peking-Oper seit der Uni. Dort besuchte ich eine Vorlesung dazu. Die Stickerei der Kostüme war mir aufgefallen", sagt Liu und fügt hinzu, dass er sich dann für 10.000 Yuan (etwa 1.160 Euro) eine Opern-Robe gekauft habe. „Meine Mutter hielt mich für verrückt."
Lius Ensemble begann mit sechs Leuten. Heute zählt es über 30 Mitglieder. Sie proben jedes Wochenende und geben Aufführungen. „Sie sind zwar Amateure, treten aber wie professionelle Sänger auf", sagt Wang Yubo, Direktor des Shijingshaner Kulturhauses. Wang hat in der Nachbarstadt Tianjin Peking-Oper studiert. Amateur-Peking-Oper-Ensembles schießen seit Jahren wie Pilze aus dem Boden.
Liu Fei beispielsweise ist von Beruf Arzt. Der 36-Jährige gründete 2004 die Yong Cui Peking Opera Troupe, die sich auch in Shijingshan trifft. Alle Mitglieder verdienen recht gut, um ihr Hobby finanziell zu unterstützen. „Man muss Geduld haben, da die Peking-Oper eine anspruchsvolle Kunst ist. Je mehr man lernt, desto tiefer geht die Liebe und die Hingabe. Sowohl finanziell als auch geistig", sagt Liu Fei.
Das Faszinierende an der Peking-Oper seien für den Arzt die traditionellen Werte und Tugenden, die in den Opernstücken gepriesen werden: Treue, Mut und pietätvolle Liebe.
Laut Peking-Oper-Meister Li Shisheng erfordert diese Art der Oper eine völlig unterschiedliche Gesangs- und Atem-Technik. Für einige Stücke müssen die Künstler auch noch ihr akrobatisches Können unter Beweis stellen, in den Spagat gehen oder mit einem langen Schwert jonglieren.
„Es ist viel schwieriger für die Amateure, da sie tagsüber arbeiten müssen", sagt Li, der Liu Feis Ensemble betreut. „Ich möchte meinen Schülern die authentische Peking-Oper beibringen, wie sie seit Jahrhunderten gepflegt wird." Diese Meinung teilt auch Liu Feng, der nach der Wurzel der Peking-Oper sucht: „Wie bei anderen traditionellen chinesischen Künsten, der Tuschemalerei oder Kalligraphie zum Beispiel, liegt die Schönheit der Peking-Oper in ihrer Ausdruckskraft. Anfangs war die Peking-Oper mein Hobby, nun ist sie meine Verantwortung."