Gretchen eilte heim so schnell sie konnte. Es kam ihr nicht ganz recht vor, daß sie so behaglich mit den Freundinnen beisammen gesessen war, während die Mutter alle Hände voll zu tun hatte. Rasch legte sie ihre Kleider ab, band sich eine Schürze um und kam ins Eßzimmer. Dort hatte die Mutter schon den Tisch mit feinem Damast belegt, aber gedeckt war noch nicht. Das war Gretchen eben recht, dabei konnte sie helfen. Flink ging sie der Mutter zur Hand. Unter den schönen Bestecken war ein Messer weniger glänzend als die andern. Frau Reinwald gab es Gretchen: „Sieh das ist nicht blank, es muß noch nachgeputzt werden.“
Gretchen brachte es in die Küche. Ei wie sah es da aus! Der Herd war schon geheizt, die Kessel dampften, Frau Batz rührte, Franziska trieb die Reibmaschine, auf einem weiß bedeckten Küchentisch stand das feine Porzellangeschirr hingerichtet.
Gretchen, in der Meinung, heute gehe alles die Kochfrau an, reichte dieser das Messer hin und richtete aus: „Das Messer ist nicht blank und muß nachgeputzt werden.“ Frau Batz sah sie groß an. „Ich hab’s nicht schlecht geputzt,“ sagte sie, „das Fräulein hält mich wohl für eine Küchenmagd?“ Gretchen merkte, daß sie etwas Ungeschicktes gemacht hatte. Sie wandte sich an Franziska und hielt dieser das Messer hin. Die nahm es ihr auch nicht ab. Vielleicht hatte sie an der Reibmaschine nicht gehört, was Gretchen ausgerichtet hatte. Ziemlich laut wiederholte Gretchen ihren Auftrag: „Das Messer ist nicht blank, es muß nachgeputzt werden.“
„Ja, ja, ich bin doch nicht taub, ich hab’s doch gehört,“ rief sie und trieb ihre Maschine weiter. Gretchen legte das Messer neben hin. Franziska warf einen verächtlichen Blick auf dasselbe und sagte: „So hat Ihre Lene geputzt, die mir immer als Muster vorgehalten wird?“ „Die Lene hat schön geputzt,“ rief Gretchen aufbrausend. „Jetzt ist sie schon ein Jahr nicht mehr bei uns und soll noch schuld sein an dem Messer.“
„Jawohl ist sie schuld, die Bestecke hat man noch nie benützt, seit ich da bin.“
„Ich werde aber die Mutter fragen, ob das wahr ist!“ sagte Gretchen. Sie stand da und wartete auf das Messer.
Die Zeit wurde ihr lang. Sie erbot sich, die Reibmaschine zu drehen; aber Franziska wollte davon nichts wissen: „Es wird ja so furchtbar nicht eilen mit dem Messer,“ sagte sie und ließ Gretchen warten. „Wenn Sie doch einmal dastehen, Fräulein, dann könnten Sie mir einen Topf voll Wasser aus der Leitung bringen,“ sagte die Kochfrau. Gretchen wußte nicht so recht, welchen Topf sie nehmen sollte. Es stand einer auf dem Küchentisch, in diesem schien schon etwas Wasser zu sein. „Kann ich den nehmen?“ fragte sie, aber weder Frau Batz noch Franziska beachteten die Frage.
„Ich werde ihn schon nehmen können,“ dachte Gretchen, „es ist doch nur Wasser darin, aber vielleicht nicht ganz reines.“ Sie schüttete es in den Ausguß, das vermeintliche Wasser glitt ganz eigentümlich aus dem Topf. Gretchen erschrak. „Sollte es doch etwas anderes gewesen sein?“ dachte sie, während sie den Topf unter die Wasserleitung hielt. Jetzt aber ging die Kochfrau an den Küchentisch.