Als heute Pfarrer Kern die Mädchen verließ, waren sie schweigsamer als sonst; sie wußten, daß eine unter ihnen war, der die Worte sehr nahe gegangen sein mußten, und sie wollten nicht so schnell wieder von gleichgültigen Dingen reden. Gretchen stand am Kleiderhalter und wollte ihre Jacke anziehen. „Komm, ich helfe dir,“ sagte eine freundliche Stimme. Es war Elsbeth, die ihre Hilfe anbot, eine Hilfe die nicht nötig war, die aber Gelegenheit gab, sich gegenseitig verständnisinnig in die Augen zu blicken und sich, von den andern unbemerkt, die Hand zu drücken.
Während die meisten Mädchen mit ihren Gedanken über das Gehörte beschäftigt waren, ließ sich plötzlich Elise Schönlein vernehmen: „Wer hat denn das gefragt wegen der Aufführung für Fräulein von Zimmern?“ „Aber Elise!“ riefen ein paar Mädchen zugleich, „wir sollen doch nie darnach fragen; wenn sie wollten, könnten sie es ja von selbst sagen!“ „Ja sie sagen’s eben nicht von selbst, darum frage ich,“ entgegnete Elise. Die andern lachten. „Es bleibt allerdings doch kein Geheimnis,“ sagte Ottilie, „weil es unser Pfarrer mündlich mit uns besprechen will und uns in die vierte Klasse bestellt hat. So kann ich es auch gleich sagen: ich habe angefragt und die beiden andern werden es wohl auch nicht geheim halten können.“
Sie nannten sich; es waren eine Cousine von Ottilie und deren Freundin. „Wie hat eure Frage gelautet?“ fragte Gretchen, „was für eine Freude wir Fräulein von Zimmern zum Schluß machen könnten? Wir alle, die ganze Klasse?“ „Ich habe nur an uns drei gedacht,“ sagte Ottilie. „Ich bin begierig, was da verabredet wird,“ sagte Gretchen; „es gibt gewiß etwas Nettes.“
Die Mädchen trennten sich. Eine ging leichteren Herzens von dannen, als sie gekommen war, und pries sich glücklich, daß jemand sie abgehalten hatte, davonzulaufen. Auch Gretchen dachte noch an die Antwort des Pfarrers und freute sich, der Mutter von dieser Stunde zu erzählen. Aber als sie heimkam, mußte sie sich gedulden; denn sie traf die Mutter nicht allein. Eine große umfangreiche Person stand ihrem Mütterchen gegenüber. Es war eine Kochfrau, die bei feierlichen Gelegenheiten als Köchin berufen wurde. Im Hause Reinwald war sie bisher noch nie tätig gewesen, denn Lene war selbst eine Meisterin in der Kochkunst und hatte keine Hilfe bedurft. Von Franziska konnte man das noch nicht rühmen, und so war die Kochfrau gebeten worden, die Bewirtung für eine größere Abendgesellschaft zu übernehmen, die Herr und Frau Reinwald geben mußten. Heute war erst die Vorberatung; diese wurde aber sehr lebhaft gepflogen, und Gretchen fand, als sie eintrat, für ihren Gruß bei der Mutter nur eine ganz flüchtige Erwiderung und bei Frau Batz gar keine Beachtung.
Eine Weile hörte Gretchen nicht ohne Interesse zu, ob Pastetchen oder Mayonnaise, ob Krebsauflauf oder Griespudding. Aber all die Einzelheiten der Bewirtung interessierten sie nicht. Sie war auch noch so erfüllt von der letzten Schulstunde und hätte gern vor Tisch noch mit der Mutter darüber gesprochen. Jetzt war es schon bald ein Uhr, Essenszeit. Wenn es wenigstens Notwendiges gewesen wäre, was diese Frau sagte, aber das Nötige war offenbar schon längst erledigt; denn Frau Batz wiederholte nun schon zum drittenmal: Ich sag’s ja, wer das Kochen los hat, der macht aus einem Ei zwei.