Frau Reinwald faßte sie an der Hand und sagte bittend und dringend: „Geben Sie der Lene ein gutes Wort, wenn sie den Stuhl bringt?“
„So bin ich nicht, daß ich das nicht täte.“
„Das ist recht,“ sagte Frau Reinwald, „ich muß jetzt fort, aber ich komme bald wieder; ich habe eine wollene Decke, die recht weich und warm ist, die bringe ich Ihnen mit oder schicke sie durch meine Tochter her.“
Frau Reinwald ging und kehrte noch einmal bei Lene ein. „Was hat die Bas alles über mich gesagt?“ fragte Lene; „die wird bös über mich losgezogen haben.“
„Sie hat Gichtschmerzen, Lene, das weißt du; sie hätte so gern euern alten Lehnstuhl, an den sie gewöhnt war. Wenn du ihr ihn bringen würdest; ihr braucht ihn ja nicht. Die paar Jahre, die sie noch lebt, könnt ihr ihn der Frau wohl leihen. Sie hat gemeint, du würdest das nicht tun; aber ich meine, du tust es.“
„Sie hat’s gerade nicht um mich verdient.“
„Nein, aber wenn du’s bedenkst, Lene, so wirst du sagen müssen: die alte Frau ist zu bedauern. Ganz allein, Tag und Nacht Schmerzen, keine Bequemlichkeit, keine Freude – der Lehnstuhl wäre eine Freude, eine große; an dem Tag dürftest du die Buben ruhig zu ihr lassen, da würde sie nichts Böses über dich sagen. Sie könnten dir den Stuhl tragen helfen; sie sollen sehen, daß du ihrer Bas gern eine Wohltat erweist. Es würde auch deinen Mann freuen, oder nicht?“
„Ihn schon.“
„Und die Kinder?“
„Die Kinder freilich.“
„Und die base, und mich – ist’s noch nicht genug, Lene? Gelt, du gehst und schaffst den Stuhl hinauf und sagst ein freundliches Wort dabei?“
„Ich bin’s schon so gewöhnt durch die vielen Jahre, Ihnen zu folgen; ich weiß schon, daß ich’s tun muß. Den ganzen Tag geht’s mir so, daß ich denken muß: Machst du das so oder so, wie würde deine Frau raten? Und so wie Sie sagen würden, muß ich dann tun.“
„Und ich weiß, daß dich’s diesmal wenigstens nicht reuen wird. Aber vergiß das freundliche Wort nicht, das gehört dazu! Leb wohl, Lene, komm bald einmal zu mir!“
Gretchen erwartete die Mutter mit Ungeduld und war voll Interesse für ihren Bericht. „Wenn ich Zeit habe, bringe ich gleich morgen die Decke zur base,“ sagte sie voll Eifer; „ich muß wissen, ob Lene den Stuhl hinübergetragen hat.“
Am nächsten Tag fand Gretchen aber nicht die Zeit, und das war gut; denn Lene übereilte die Sache nicht. Am ersten Abend, als sie mit ihrer Tagesarbeit fertig war, dachte sie: „Jetzt könnte ich wohl den Stuhl hinübertragen, aber so arg pressiert das nicht!“ und dabei blieb’s. Am nächsten Tag hatte sie zu waschen, und die Arbeit dauerte bis spät am Abend, da kam es wieder nicht dazu. Am dritten Tag, als sie eben ihre Wäsche im Hof aufhängte, hörte sie die Buben unter der offenen Stalltüre miteinander reden. Sie verstand nur die wenigen Worte; „Sie sagt, sie habe schreien müssen vor Schmerz.“ Schnell wandte sich Lene zu den Buben. „Wer hat geschrieen vor Schmerz? Die base?“
„Ja, sie sagt’s.“ Jetzt raffte sich Lene auf.
„Wir bringen ihr den Lehnstuhl, daß sie weicher sitzt; kommt, helft mir tragen.“
Die Buben sahen der Mutter mit unverhohlenem Erstaunen ins Gesicht; aber als sie sahen, daß es ernst war, packten sie voll Vergnügen an. Mit einiger Mühe gelangte der schwerfällige Stuhl ins Nebenhaus und dort bis in den obersten Stock. Der jüngste sprang voraus und rief: „Bas, die Mutter kommt, und wir bringen dir den Lehnstuhl.“ Da standen sich die beiden Frauen gegenüber, Lene grüßte und schob den Stuhl in eine passende Ecke. Der Gegengruß der base lautete: „Das hättet ihr wohl bleiben lassen können, ich sterb ja doch bald; die letzte Nacht habe ich schon gemeint, es geh zu End.“