„Das kannst du doch nicht wissen.“
„Sieh doch nur Ottilie an, wie sie verstimmt aussieht.“
Das konnte nun allerdings Gretchen nicht leugnen. Im stillen sann sie nach, wie Ottilie wieder gut gestimmt werden könnte. Ihr war es immer Bedürfnis, das gute Einvernehmen wieder herzustellen, wenn es gestört war, und sie besann sich nie lange, wer schuld war an der Störung.
Einige Mädchen hatten schon das Schulzimmer verlassen, andere waren im Begriff fortzugehen. Gretchen hielt Ottilie zurück, und sagte leise: „Bleibe noch einen Augenblick bei mir,“ und sowie sie allein waren, sagte sie: „Ottilie, mir ist ein guter Gedanke für dich gekommen, weil du doch lieber allein Fräulein von Zimmern eine Freude gemacht hättest.“
„Ach nein, es ist mir ja ganz recht so, wie es ausgemacht ist. Übrigens was hast du für einen Gedanken?“
„Du könntest für Fräulein von Zimmern eine schöne Handarbeit machen und sie ihr am letzten Tag überreichen. Wir reden dann nicht vor den andern davon, damit du etwas für dich allein hast.“
„Das gefiele mir wohl, aber man wird mir’s übelnehmen, wenn ich nicht mittue bei der Literatur.“
„So meine ich’s auch nicht, du mußt natürlich mittun, sonst wäre es ja gar nicht nett, aber die Handarbeit kannst du doch noch dazu machen, wir haben ja noch zwei Monate Zeit.“
Ottilie überlegte. Die schönsten benähten Deckchen und gestickten Kissen erschienen ihr im Geist. Feine Handarbeiten waren ihre große Liebhaberei, der Vorschlag paßte für sie. Hermine, die vorangegangen war, rief nach Gretchen. „Ich komme,“ rief diese dagegen und eilte der Freundin nach. Ottilie folgte ihr langsamer und sagte halblaut vor sich hin: „Es ist doch ein guter Kerl!“
Das waren nun in den nächsten Tagen endlose Beratungen in der Schule: Welche Dichter sollte man wählen und wie die Gruppen bilden? Die verschiedensten Vorschläge schwirrten durcheinander; von den fünfzehn Mädchen sprachen immer vierzehn zugleich ihre Meinung aus und Elise Schönlein, die keine Meinung hatte, blieb die einzige Zuhörerin. Die Verstimmung war gewichen, alle waren voll Eifer für das Vorhaben, aber die Sache war doch schwierig in Gang zu bringen.
Eines Morgens, bei Beginn der Pause, kam Mathilde Braun zu den Großen und sagte zu ihrer Schwester Hermine: „Unser Pfarrer kommt gleich herauf zu euch.“ „Woher weißt du es?“ frugen verschiedene Stimmen.