„Ja, aber nur aushilfsweise, alles aushilfsweise. Ich war im spanischen Amerika, was Sie auf deutsch etwa ‚Helferin‘ nennen würden.“ Gretchen, die längst gerne etwas über Fräulein Trölopps eigentlichen Beruf gehört hätte, fragte begierig: „Was tut eine Helferin?“
„Haben Sie noch nie gehört von dieser Einrichtung? Die Helferin hilft aus bei unvorhergesehenen Schwierigkeiten.“
„Also in Krankheiten?“
„Auch da, doch nur so lange, bis eine Krankenpflegerin gefunden ist. Öfter noch hilft sie in andern Fällen, einerlei was es ist, wenn es nur unvorhergesehen und nützlich ist.“
Fräulein Trölopp schwieg. Es schien nicht ihre Art zu sein, viel von ihrem Tun zu sprechen. Herr Reinwald bemerkte Gretchens Enttäuschung darüber. „Sehen Sie nicht, Fräulein Trölopp,“ sagte er, „wie neugierig dies große Kind ist, und wie gerne es noch mehr hören möchte von Ihrer Tätigkeit in Amerika. Und wir Eltern verstecken uns selbst gern hinter ihre Neugier und bitten Sie, erzählen Sie uns ein wenig!“
„Gerne, aber Sie können sich den Beruf der Helferin wohl selbst vorstellen. Ich half eben aus, wo es not tat. Man wußte meine Adresse auf der Polizei, bei Bekannten und später in immer weiteren Kreisen. Ich folgte jedem Ruf, bei Tag oder Nacht, und lehnte bloß ab, wenn die Not nicht unvorhergesehen war, oder wenn es sich um Unnützes handelte. In den vielen Jahren, die ich in diesem Beruf stand, kam ich am öftesten in Familien, wo durch Todesfall ein Haushalt unversorgt war. Die Helferin bleibt immer nur so lang, bis ständige Hilfe gefunden ist, oft ist’s nur ein Tag, und nie sollen es mehr als vier Wochen sein, damit die Helferin immer wieder bereit ist für Unvorhergesehenes. Oft kommt mitten in der Nacht ein Ruf an sie. Bei mir wurde einmal nachts angeläutet, und als ich das Fenster öffnete, sah ich vor meinem Haus einen ganzen Auflauf. Dort unten standen vielleicht zwanzig blinde Mädchen, ein Polizeimann dabei. Er rief mir herauf: ‚Es brennt in der Blindenanstalt, Sie sollen diese Blinden in das nächste Schulhaus bringen und bei ihnen bleiben, bis sie abgeholt werden.‘ So übergab er mir, die ich mich eilends gerichtet hatte, lauter zitternde, jammernde blinde Mädchen, die ganz außer sich waren vor Schrecken und sich nicht so schnell wie Sehende davon überzeugen ließen, daß sie der Gefahr glücklich entronnen waren. Sie hielten sich an einem Leitseil. Mit diesem führte ich sie langsam durch die ihnen fremden Straßen bis zu dem Schulhaus.
„Jederzeit nahm ich als Helferin in solchen Fällen zwei Dinge mit mir: Das eine war Tee, den bereitete ich auch den armen, vor Schrecken, Schlaf und Kälte zitternden Mädchen in dieser Nacht mit Hilfe der Hausmeisterin; das andere waren Paul Gerhardts Lieder. Diese habe ich mir, so gut ich eben konnte, ins Spanische und ins Französische übersetzt, und sie haben geängstigten Menschen aller Bekenntnisse Trost und Frieden gebracht. Auch die Blinden brachte ich mit diesen zwei Mitteln zur Ruhe.