Gretchen sah fast ängstlich auf die Mutter, wie würde der erste Eindruck sein?
Unnötige Sorge, Gretchen! Es gibt Menschen, die sehen durchs Äußere hindurch ins Innere, und zu diesen gehört deine Mutter!
Frau Reinwald hieß mit großer Herzlichkeit Fräulein Trölopp willkommen. „Sie haben meiner Schwester und ihren Kindern so viel Liebe erwiesen, daß ich glücklich bin, Ihnen auch ein ganz klein wenig Liebe erweisen zu können. Wer weiß, wie meine Schwester die schwere Zeit überstanden hätte ohne Ihre Hilfe. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin!“ und bewegt zog Frau Reinwald die Fremde an sich und küßte sie. Gretchen fühlte sich glückselig, alle ihre Erwartungen waren übertroffen! Ein solcher Empfang wurde Fräulein Trölopp zu teil! Und sah diese noch so häßlich aus? Nein, in diesem Augenblick war wenigstens etwas Schönes an ihr, das war der warme Strahl des Glücks, der aus ihren Augen leuchtete, während sie zu Frau Reinwald aufsah und einfach sagte: „Sie sind eine edle Frau!“
Gretchen fühlte sich am Kleid gezupft, als sie eben der Mutter und dem Gast ins Zimmer folgen wollte. Rudi und Betty waren es, die sie festhielten und ihr nun zuflüsterten: „Jetzt kommt die Überraschung.“ Neugierig trat Gretchen mit den andern in das Wohnzimmer und war in der Tat überrascht. Ehe sie an die Bahn gegangen war, hatte die Mutter gesagt: „Wir brauchen nichts zum Empfang zu richten, es wird ja bald nachher zu Mittag gegessen und der erwartete Gast ist anspruchslos.“ Kaum aber war Gretchen fort gewesen, so hatte Frau Reinwald den Tisch gedeckt, mit Blumen geschmückt, Kuchen und Wein aufgestellt. Sie wollte den Gast und zugleich Gretchen damit erfreuen und ergötzte sich nun an Gretchens Überraschung, die sie doch nicht aussprechen konnte.
Herr Reinwald trat ein, als sich Fräulein Trölopp eben für den gastlichen Empfang bedankte. „Verlieren Sie nur keine Worte darüber,“ sagte er, „meine Frau meint nämlich mit ihrem Kuchen und ihren Blumen gar nicht Sie, sie meint nur ihre gut gepflegte Schwester und glücklich genesenen Neffen und allenfalls noch dieses Gretchen dort, das man nicht mehr erfreuen kann, als wenn man eine gewisse Reisebekanntschaft ehrt; ist’s nicht so, Gretchen? Wie sagt man, Córdova oder Cordōva?“
Das Einpacken der Kinderkleider, das Fräulein Trölopp zwischen elf und zwei Uhr besorgen wollte, schien doch größere Schwierigkeiten zu machen, oder hatte Frau Reinwald etwas anderes ausfindig gemacht, das ein längeres Verweilen „nützlich“ erscheinen ließ? Jedenfalls leuchtete der gelbe Samthut an diesem Tag nicht mehr auf dem Bahnhof, und Fräulein Trölopp saß abends mit der Familie Reinwald am gemütlichen Teetisch. Die Kleinen waren zum letztenmal in ihre Bettchen gebracht, Franziska hatte den Teetisch abgeräumt, es war die Stunde traulichen Gespräches.
„Sie waren gewiß schon in größeren Haushaltungen tätig,“ fragte Frau Reinwald, „da Sie sich so merkwürdig schnell in dem Hauswesen meiner Schwester zurecht gefunden haben.“