Zum Schluß des Festes wurden die Kinder in den Konzertsaal des Schlosses geführt. Dort war eine kleine Bühne errichtet, auf der eine lustige Puppenkomödie aufgeführt wurde. Von einer erhöhten Galerie aus sah die Königin mit den drei Prinzen der Aufführung zu und konnte sich an dem lauten Beifall der Schuljugend ergötzen. Im Hintergrund des Saales hatte sich die Dienerschaft des Schlosses eingefunden, die von dem Fest nicht nur die Mühe, sondern auch den Spaß haben wollte. Während einer Pause in der Aufführung hatte Gretchen zufällig zurückgesehen, und seitdem wandte sie sich öfter um und sah dorthin. „Warum siehst du dich immer um?“ fragte eine Schülerin des Adeligen Instituts, die in ihrer Nähe saß und sie ein wenig kannte. „Dort hinten ist nichts Interessantes zu sehen, dort steht nur die Dienerschaft.“ „Ich weiß,“ sagte Gretchen, „aber unter diesen Leuten kenne ich jemand und dem möchte ich für etwas danken.“ „Das geht doch nicht an, es ist ja auffallend, sogar die Königin könnte es von oben bemerken. Ich möchte nicht vor ihr und all diesen Mädchen mit jemand aus der Dienerschaft reden.“
„Warum denn nicht? Unter der Dienerschaft habe ich meine besten Freunde,“ sagte Gretchen und dachte dabei an Lene.
Als nach dem nächsten Auftritt der Vorhang wieder fiel, hatte Gretchen ihren Entschluß gefaßt. Sie stand augenblicklich auf, schlüpfte zwischen den Reihen hindurch bis in den Hintergrund des Saals, unbekümmert um die verwunderten Blicke, die ihr folgten. Mitten unter den Leuten stand der Hofkutscher Plitt. Auf ihn hatte Gretchen es abgesehen. Plötzlich stand sie vor dem Erstaunten, reichte ihm die Hand: „Ihnen muß ich danken, denn wenn Sie nicht so gut gewesen wären, hätte ich keine Karte zum Fest bekommen. Die Lene hat mir’s erzählt.“ „Nichts zu danken, es ist ja gern geschehen,“ versicherte der Mann wiederholt. Es war ihm aber wohl anzumerken, wie es ihn freute, daß eines von den größten und schönsten Festfräulein so vor aller Augen zu ihm herkam und sich bei ihm bedankte, und es folgten ihr viel freundliche Blicke der Dienerschaft, als sie zu ihrem Platz zurückeilte, um ihn zu erreichen, ehe der Vorhang in die Höhe ging.
Hoch befriedigt kamen all die jungen Gäste vom Fest heim und in vornehmen und geringen Häusern wurde an diesem Abend von denselben Erlebnissen gesprochen. Gretchen hatte aber noch etwas mehr erlebt als alle andern. Die kleine Weile, die sie mit der königlichen Mutter allein an der Wiege der Prinzessin gestanden war, schien ihr die köstlichste Erinnerung von allem, und noch im Einschlafen schwebte ihr das holde Lächeln des Kindes vor. Als Frau Reinwald ein paar Minuten, nachdem Gretchen zu Bett gegangen war, noch einmal in ihr Zimmer kam, um das weiße Kleid herauszunehmen (es hatte ein Loch, aber die Königin konnte es nicht gesehen haben), da war Gretchen schon eingeschlafen, und noch im Schlaf lag ein glücklicher, friedlicher Ausdruck auf ihren Zügen. „Du mein sonniges Glückskind,“ sagte die Mutter bewegt, „Gott erhalte dich so wie du bist!“