Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht es über sie hin, um sie her, und da singt es und saust es und klingt es und braust es, und die Blümlein duften süß und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. – Da stehen zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein Mägdelein – sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig und sonnig, in ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, und doch thront auf der Stirn eine leise Schwermut und in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die Königin zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht erwartungsvoll schweigend um sie her. Da spricht sie:
»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein lachend Mägdelein – steigt nieder zur Erde, zieht hin über die Welt und verkündet ihr das neue Evangelium, bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie ist arm, arm an Glück und Liebe – lehrt sie, daß nur durch Liebe die Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört und die sie nicht verstanden hat.
Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch herzlose That – predigt immer wieder, ruft in die Welt, in ihre Herzen hinein, jubelt ihr entgegen das Evangelium von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie auf Erden.
O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet Eure Händchen zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, und die Liebe tot ohne die Wahrheit. –
Allein seid Ihr nichts, vereint alles!«
Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter Phantasie nahm die Kinder in ihren Himmelsmantel und trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und Nixchen und Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen und sangen und alles war voll Freude.
Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem Eichbaum, unter welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden Blumen zugedeckt, viele tausend Jahre geschlummert hatten, klappte seine großen Augen auf und zu und seufzte, daß es in den Klüften und Schluchten wiederhallte:
»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!«
Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch die Lande, über Berg und Thal, über Fluß und Steg, an all den vielen Städten und Burgen vorüber, mit ihren vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, wie schön seid Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die Kopf und Herz noch voll herrlicher Gedanken und beseligender Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch in scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da waren Andere, die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen Häupter und sagten: »Ja, recht schön, aber unpraktisch!« Das waren alte, weißhaarige Männer und Frauen. Da waren noch Andere, die wollten mit lustigen, bunten, lügnerischen Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden Kinder bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen und hinter ihnen her gellte höhnisches Gelächter.