»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, Elenden, jene Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, auf was warten sie finstern Auges, trotziger Stirn, rachsüchtigen Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, die im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken und Flittern einher, als wollten sie die Freude zu Grabe tragen?«
Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern und wendet es ein wenig zur Seite:
»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin über die Welt!«
Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, Gehast, ein großes, starkes Weib, das schwingt mit grimmigem Lächeln, mit finsterem Angesicht eine Peitsche in ihren Händen, deren vielteilige, zackige Enden zischend über die ganze Welt hinsausen – und hohnlachend sieht das Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren und bei jedem Schlage noch verwirrter durcheinander rennen.
»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind entsetzt, »siehst Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst Du sie zischen und brausen? Das ist sie, die mich so erschreckt!«
»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf zu voller Höhe und seine Augen blitzen.
»Das ist die Wolke – das ist die große Angst, die schwer auf der Welt liegt, die Angst der Völker vor etwas Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, das über sie kommen wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. – Wird es sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts zertrümmern – oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, ein Herrliches, wie der Vogel Phönix aus der Asche! Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und wagen kaum, tief Atem zu holen.«
»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser wahnsinnigen Angst zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke und ihre ganzen Kräfte anstrenge, dem Schrecklichen mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das Sonntagskind schüchtern.
»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und schüttelt seine Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die Menschen kennen's auch, nur haben sie es vergessen. – – All die große, schwere Angst der Völker würde sich in nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr an – den kleinen Finger der Venus von Medici denken wollten.«
»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt das Sonntagskind mit großen, verwunderten Augen.