Der Himmel über dem fernen Horizont färbte sich orange. Während sich der Tag dem Ende zuneigte, ging die Sonne langsam unter. Mit dem Tag ging auch eine Fahrt zu Ende, die das alte Segelschiff und die Besatzung monatelang um die ganze Welt geführt hatte. Von einem Kontinent zum anderen waren sie gesegelt, hatten jeden Kontinent und viele Häfen bereist. Doch nun freuten sich die Matrosen auf die Heimat.
»Land in Sicht!«, war vom Ausguck an der Spitze des Hauptmastes zu hören. Jetzt war der Hafen ganz nah. Schon bald würden die Männer und Frauen ihre Füße wieder auf das Festland setzen können.
Aufgeregt redeten sie miteinander, überlegten, was sie am Abend zusammen unternehmen sollten, wo es etwas Gutes zu trinken gab. Andere suchten ihr Hab und Gut zusammen und legten Geschenke für ihre Liebsten bereit.
Zwei Mannschaftsmitglieder ließen sich von diesem Treiben nicht stören. Sie hatten sich in das große Netz zurückgezogen, das unter dem Klüverbaum hing. Während über ihren Köpfen die Wolken hinwegzogen, spritze die Gischt immer wieder zu ihnen hinauf.
»Ich freue mich schon auf Zuhause. Ich kann endlich meine Familie und meine Freunde sehen, ihnen von unserer spannenden Reise erzählen.«, sagte die junge Matrosin, während sie immer wieder verschiedene Seemannsknoten in sein Seil machte. »Wer beendet schon gern seine allererste Fahrt zur See? Ich werde dieses Gefühl vermissen.«
Der alte Seebär, der neben ihr lag, zündete den Tabak seines Pfeifchens an und steckte es sich zwischen seine Lippen. Dann schob er langsam seine Regenmütze zurück und lächelte sie an.
»Meine erste Fahrt liegt so lange zurück, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Sie ist in fernste Fernen gerückt. Jeder noch so kleine Fetzen, der sich mit Mühe und Not in meinem Kopf festhält, vermischt sich mit den Erinnerungen anderer Fahrten. Es wird schwer, sie auseinander halten zu können.«
Er strich mit den Händen über seine Öljacke, ertastete darin einen Gegenstand und nickte zufrieden.
Ich habe damals während der Heimkehr genau an diesem Platz meine restliche Zeit verbracht. Mir ging es nicht gut und ich habe meine Trauer und meine Gefühle einem alten, erfahrenen Seebären anvertraut. Wir unterhielten uns eine gefühlte Ewigkeit. Das hat mir gut getan und Mut gemacht. Kurz bevor wir in den Hafen einfuhren, wir konnten bereits die Mauern neben uns sehen, gab er mir etwas, das mir half, mich an diese ganz besondere, erste Fahrt zu erinnern, etwas womit ich sie für immer verbinden konnte.«
Der Alte hob den Kopf und lachte. »Schau mal, rein zufällig befinden wir zwei uns an eben dieser Stelle.«
Das Schiff passierte einen kleinen Leuchtturm, der am äußersten Punkt der Hafenmauer stand.
»Ich glaube, dann ist es an der Zeit, diesen Gegenstand dir zu geben, damit er dich auf deinen zukünftigen Reisen begleitet und dich an alles erinnert, was du erlebt hast.«
Er holte ein kleine Glühbirne aus der Tasche Statt des üblichen Glühfadens sah die Matrosin im Innern das Meer, einen Leuchtturm auf einem Riff und und ein Schiffchen.
»Aber …«. Mit zitternden Händen nahm sie die Glühbirne in ihre Hände. »Das kann ich nicht annehmen. Das sind deine Erinnerungen, nicht meine.«
Schon wollte sie dem Seebären das Geschenk zurückgeben, doch er hatte seine Hände tief in die Taschen der Öljacke vergraben.
»Behalt sie. Das ist heute meine letzte Fahrt, mein letzter Tag an Bord. Ab Morgen werde ich meine Zeit in einem gemütlichen Schaukelstuhl auf der Veranda verbringen und den vorbei segelnden Schiffen zuschauen. Das wird meine Erinnerungen am Leben erhalten. Du scheinst diese kleine Welt viel nötiger zu brauchen als ich.«
Er holte seine Hände wieder hervor und legte sie über die der Matrosin. »Versprich mir nur, dass ich es bin, den du als erste Erinnerung hier drin ablegst. Das ist mir Dank genug.«
Sie schluckte schwer, sah den alten Mann einen Moment lang traurig an. Schließlich nickte sie und rang sich ein Lächeln ab. »Ich werde dich immer in diesem Glas und in meinem Herzen bei mir tragen. Und eines fernen Tages, wenn ich von meiner letzten Reise nach Hause komme, werde ich die Glühbirne an jemand anderen weitergeben.«
Sie steckte das Geschenk vorsichtig in ihre Jackentasche und drückte den alten Matrosen an sich. »Leb wohl und vergiss uns nicht.«