In der Hauptstadt der magischen Welt waren unzählige Zauberer und Hexen zusammen gekommen, denn der oberste, der beliebteste und angesehenste Zauberer aller Zeiten war von ihnen gegangen. Er hatte die meisten magischen Sprüche auswendig gekannt, sich um die Regierung des Landes gekümmert und trotzdem immer eine offenes Ohr für die Probleme der anderen gehabt. Außerdem hatte er immer so eine gute Laune, dass andere Zauberer und Hexen davon angesteckt worden waren. Und nun war er nicht mehr da. Er war gestorben.
»Was ist denn heute bloß los?«, wollte der kleine Zauberlehrling Theo wissen und fragte sich auf der sonst leeren Straße durch.
Doch statt Antworten zu bekommen, wurde er von den Erwachsenen zur Seite gedrängt oder erst gar nicht beachtet.
»Steh nicht im Weg rum, Kleiner. Siehst du denn nicht, dass wir es eilig haben?«
Erst eine ältere Dame mit Buckel und einer schwarzen Katze auf der Schulter blieb stehen, setzte sich mit Theo auf eine Bank und berichtete ihm, was geschehen war.
»Die Leute sind heute besonders aufgeregt, denn unser oberster Zauberer ist verstorben.«
»Aber warum kommen dann alle hierher in die Stadt? Können sie nicht dort trauern, wo sie leben?«
Die alte Hexe lachte.
»Trauern können sie tatsächlich überall im ganzen Land. Aber es geht ihnen um etwas anderes.«
Theo bekam große, neugierige Augen und drängte danach, mehr zu erfahren.
»Wenn ein Zauberer oder eine Hexe stirbt, dann hinterlassen sie der Welt einen neuen Zauberspruch, den es vorher noch nicht gab. Dieser erscheint dann genau einen Tag nach dem letzten Herzschlag des Verstorbenen im großen Zauberbuch der magischen Bibliothek. Je größer und bedeutender diese Person war, desto mächtiger ist dann auch der Zauberspruch.«
Der kleine Zauberlehrling dachte nach. Dann muss es heute wohl einen ganz besonderen Zauberspruch geben.«
Die Hexe nickte eifrig und stand bereits wieder auf.
»Das wird heute der wichtigste Zauberspruch seit langer Zeit sein. Deswegen mache ich mich jetzt auch auf den Weg zur Bibliothek.«
Theo hielt es nun auch nicht mehr auf der Bank aus. Er sprang auf und reihte sich ebenfalls in die große Menschenmenge ein.
Stundenlang sah er zu, wie Zauberer und Hexen durch die großen Türen der Bibliothek verschwanden und kurz darauf wieder heraus kamen. Niemand von ihnen sah glücklich aus. Das Gegenteil war sogar der Fall. Sie schienen sauer, wütend und aufgebracht zu sein.
»So ein Blödsinn.«, brüllten die einen.
»Dafür habe ich so lange anstehen müssen?, beschwerten sich andere.
»Von einem Zauberer seiner Größe hätte ich mir sehr viel mehr erwartet.«
Schließlich war Theo an der Reihe. Ehrfürchtig betrat er das große Gebäude. Er stand in einem düsteren Raum, in dem nur wenige Kerzen leuchteten. In der Mitte zwischen unzähligen Regalen stand ein Pult mit einem unglaublich dicken Buch. Eine der Seiten war aufgeschlagen. Der kleine Zauberlehrling ging langsam näher und las sich die wenigen Zeilen durch und verstand sofort, was der oberste Zauberer sich dabei gedacht hatte.
»Das ist wirklich der bedeutendste Zauberspruch, den ich je gelesen hatte.«
Theo prägte sich ihn gut ein und verließ die Bibliothek. Als er sich auf der Straße umsah, entdeckte er nur wütende Zauberer und Hexen, die alle besonders erbost und enttäuscht waren.
Theo kam eine Idee. Er kramte in seiner Tasche und holte seinen Zauberstab hervor. Umständlich wedelte er damit in der Luft herum und sprach die wenigen Worte, die er wenige Minuten zuvor in dem dicken Buch gelesen hatte.
Bösen Worte und schlechte Gedanken fliegen fort
und sammeln sich an einem anderen Ort.
Nun sollt ihr an den großen Zauberer denken.
Er will euch gute Laune und ein Lächeln schenken.
Schlagartig verstummten die Zauberer und Hexen. Zuerst sahen sie sich verblüfft an und plötzlich begannen sie alle zu Lächeln und zu Lachen. Nun verstanden sie doch, was ihnen für ein großes Geschenk hinterlassen worden war.
Der Glücklichste unter ihnen war aber Theo, denn er hatte als einziger sofort verstanden, worum es ging.