Es war Abend geworden. Die Zwillinge Nik und Nele saßen mit Papa vor dem Fernseher und sahen sich die Nachrichten an.
»Morgen Vormittag erwartet uns am Himmel ein ganz besonderes Ereignis.« erklärte der Sprecher. »In der Zeit zwischen halb zehn und zwölf Uhr wird der Mond zu einem großen Teil die Sonne verdecken. Es gibt eine Sonnenfinsternis.«
Die Kinder sahen sich begeistert an.
»Eine Sonnenfinsternis.« jubelte Nik. »Das wird richtig cool. Das müssen wir uns unbedingt ansehen. Das kommt hier in Deutschland nur ganz selten vor.«
»Aber leider wird die Sonne nicht komplett verdeckt. Das kann man nur im hohen Norden Europas sehen.« erklärte Papa.
»Woher weiß man eigentlich, wann und wo eine Sonnenfinsternis stattfindet?« wollte Nele wissen.
»Dafür gibt es Computerprogramme.« wusste Papa. »Schlaue Wissenschaftler haben es geschrieben und mit ganz vielen Daten gefüttert.«
»Das muss ich mir unbedingt mal genauer ansehen.« Nik wollte sich bereits seinen Tabletcomputer schnappen.
»Nichts da. Das kannst du Morgen noch machen. Jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen.«
Mit deutlichem Murren zogen sich die Kinder in das gemeinsame Kinderzimmer zurück.
Ein paar Minuten später sah Mama noch einmal durch die Tür herein, wünschte den Beiden eine Gute Nacht und schaltete das Licht ab. Nur eine Sekunde später holte Nik den Tablet unter dem Kopfkissen hervor. Er tippte ein paar Mal auf den Bildschirm und suchte sich alle Informationen über die Sonnenfinsternis, die er finden konnte. Dann legte er die Stirn in Falten.
»Ist ja komisch.« murmelte er vor sich hin.
»Was ist denn?« wurde Nele neugierig und kletterte zu ihm auf die obere Hälfte ihres Etagenbetts.
»Was bedeuten die vielen Zahlen? Ich verstehe das nicht.«
»Mit diesen Formeln berechnet man die Bahnen von Erde und Mond. Am Ende sieht man dann, wann eine Sonnenfinsternis stattfindet.« erklärte Nik.
»Und was ist daran so komisch?«
»Ich hab die Formel von meinem Tablet aus Spaß nachrechnen lassen und komme immer wieder auf das selbe Ergebnis. Morgen findet keine Sonnenfinsternis statt. Irgendwer hat sich da verrechnet.«
Nele bekam große Augen. »Glaub ich nicht. Zeig mal her.«
Aber das Ergebnis blieb. Die Sonnenfinsternis würde nicht stattfinden.
»Das darf nicht passieren. Da bekommt sonst noch jemand Ärger. Außerdem werden sich alle Menschen sauer sein, die nur darauf warten. Wir müssen etwas unternehmen.« entschied sie.
Nik nickte. Sie kletterten vom oberen Bett herunter und setzten sich auf das Untere. Nele legte ihr Kopfkissen zur Seite und drückte auf den großen, roten Knopf, der darunter zum Vorschein kam. An den Seiten des unteren Betts schoben sich dicke Glasscheiben nach oben. Die Türen des Balkons öffneten sich und das Bett schwebte langsam darauf zu.
Das ungewöhnliche Raumschiff flog in Richtung Himmel davon.
In wenigen Minuten war das Etagenbett am Mond vorbei geflogen.
»Wo geht’s eigentlich hin?« wollte Nik wissen.
»Wir fliegen auf direktem Weg zum Mars. Dort kann man immer Raumschiffe antreffen. Sie machen dort Rast, wenn sie vom Asteroidengürtel kommen, wo sie wertvolle metalle abbauen. Mit denen müssen wir uns treffen.«
In der Ferne war bereits ein roter Fleck zu erkennen, der rasch größer wurde. Der Mars zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Auf der Rückseite, die man von der Erde aus nicht sehen konnte, befand sich ein großer Raumhafen, auf dem hunderte Raumschiffe gleichzeitig parken konnten. Allerdings war heute nicht sehr viel los.
»Die meisten sind wohl gerade unterwegs.« überlegte Nele. »Das ist gar nicht gut für unseren Plan.«
Sie landeten, verließen das Bett und betraten ein Schnellrestaurant mit dem wohl klingenden Namen ‚McGalaxy‘.
»Einen SpaceBurger bitte!« rief Nik aus Spaß.
»Kommt sofort!« kam die prompte Antwort von der Theke.
»Wir haben jetzt keine Zeit zum Essen.« ermahnte ihn Nele. »Wir müssen ein paar Raumfahrer finden, die für uns die Sonne verdunkeln. Sonst wird das nichts mehr mit der Finsternis.«
Mühsam kletterte sie auf einen Barhocker am Tresen und rief den essenden Leuten zu: »Wir sind auf der Suche nach ein paar Raumschiffen, die für uns eine Sonnenfinsternis nachstellen. Die Menschen auf der Erde haben schon lange keine mehr gesehen und würden sich darüber sehr freuen.«
Lächelnd sah sie von Tisch zu Tisch, aber dann wich das Lächeln einem enttäuschten Gesichtsausdruck. Niemand meldete sich.
»Irgendwie klappt das nicht. Wir brauchen einen neuen Plan.«
Der Meinung war Nik auch. »Das hat eh keinen Sinn. Es sind viel zu wenig Raumschiffe da draußen. Die könnten niemals die Sonne so stark verdunkeln, dass es echt aussieht.«
Sie setzten sich an einen Tisch, aßen SpaceBurger, tranken Venus Limonade und grübelten. Dabei schweifte Niks Blick immer wieder durch die Fenster nach draußen.
»Einige Raumschiffe fliegen ganz schön schnell hier durch. Das sieht ziemlich gefährlich aus.«
»Ich weiß.« antwortete Nele. »Das ist ganz schön leichtsinnig. Ich hab sogar mal gehört, dass immer wieder Schiffe gegeneinander antreten.«
»Moment mal!« rief Nik. »Das ist die Idee.«
Er nahm sich gar nicht erst die Zeit, zu erklären, was ihm eingefallen war. Er verließ das Restaurant, lief zum Bett und holte sich ein paar Buntstifte und Papier, die er immer unter seinem Kopfkissen versteckt hielt, falls ihm nachts mal langweilig werden würde.
Als er wieder am Tisch saß, schrieb und malte er, was das Zeug hielt. Nach ein paar Minuten war sein Plakat fertig. In bunten Buchstaben stand darauf:
MORGEN GROSSES RAUMSCHIFFRENNEN!!!
Als Startpunkt hatte er einen Platz zwischen Erde und Sonne gewählt. Ab halb zehn in der früh durften sich die teilnehmenden Schiffe an Ort und Stelle versammeln.
»Das klappt nie.« schüttelte Nele den Kopf. »Du glaubst doch nicht, dass die Raumfahrer darauf reinfallen.«
Aber Nik war anderer Meinung. Er heftete eines der Plakate an die Eingangstür und wartete ab. Schon ein paar Minuten später standen mehrere Männer davor und lasen mit Begeisterung, was darauf stand.
»Davon müssen wir sofort den anderen erzählen. Das wird großartig.« war immer wieder zu hören.
»Jetzt müssen wir nur noch nach Hause fliegen und abwarten.«
Dann nahm Nik seine Schwester an die Hand und führte sie zum Etagenbett zurück.
Am nächsten Morgen konnten es die Kinder kaum erwarten, die Sonnenfinsternis zu sehen. Mit besonders guten Fernrohren, deren Gläser mit Ruß geschwärzt waren, saßen sie am Fenster und sahen zur Sonne hinauf.
»Es geht los!« rief Nik. »Die ersten Raumschiffe kommen.«
Tatsächlich tauchten immer mehr von ihnen auf. Zuerst waren es nur wenige, aber von Minute zu Minute wurden es mehr. Es waren Hunderte, dann Tausende. Die Sonne verdunkelte immer mehr, bis schließlich kaum noch etwas von ihr zu sehen war.
Nele holte ein kleines Gerät aus dem Schreibtisch und schaltete es ein. »Mal hören, was im Funkverkehr los ist.«
Man hörte viele Stimmen aus den Raumschiffen. Die Kapitäne konnten es kaum erwarten, dass sie starten durften.
»Hallo, hallo!« sprach Nele in ein Mikrofon.
»Hier spricht die Rennleitung. Wegen eines unerwarteten Problems muss das Rennen abgesagt werden. Leider kann es heute nicht stattfinden. Bitte verlassen sie das Startfeld langsam und in geordneten Bahnen. Wir danken für ihre Aufmerksamkeit.«
Lautes Murren und Knurren war zu hören. Die Raumfahrer waren sauer. Aber sie taten, was die Kinder von ihnen verlangten. Nach und nach flogen die Raumschiffe davon. Die Sonne wurde wieder sichtbar. Die Sonnenfinsternis war vorbei.
»Prima.« war Nik stolz. »Alles perfekt im Zeitplan. Wir können stolz auf uns sein.«
Auf der anderen Seite der Erde saß ein junger Wissenschaftler über ein paar Papieren, zog die Stirn in Falten und wunderte sich sehr.
»Wie kann das sein? Das ist doch nicht möglich. Ich hab mich doch verrechnet. Ich sehe den Fehler genau vor mir. Die Sonnenfinsternis hätte gar nicht stattfinden dürfen. Aber warum war sie dann da?«
Er sollte nie eine Antwort auf seine Fragen finden. Aber weil es ihm zu peinlich war, seinen Fehler zuzugeben, knüllte er nach ein paar Stunden seine Papiere zusammen und warf sie in den Müll.