Rings um das Schloß wachten die Wächter, die großen Hunde umliefen es, Kasperle fanden sie aber doch nicht. Wo war der nur? Wie weggeblasen war er. Die Diener und Mägde durchsuchten wirklich das ganze Schloß, sie schauten sogar in verschlossene Kisten und Schränke hinein, — der unnütze Schelm war nicht zu finden.
Nur eine im ganzen Schloß wußte, wo das Kasperle steckte, Rosemarie. Die hatte am Fenster gestanden, als von unten herauf ein lautes Lärmen erklungen war. Da hatte sie erstaunt hinausgesehen und Kasperle erblickt, der wie eine reife Pflaume am Baum in dem Geäst des uralten Efeus hing, der die Schloßmauer bedeckte. „Der fremde Junge!“ Rosemarie hatte es verwundert gerufen, und da purzelte Kasperle auch schon in ihr Zimmer, denn weiter konnte der nicht klettern. Er war ohnehin vor Angst und Eile schon ganz außer Atem.
Unten war das Rufen lauter und lauter geworden, und Kasperle war auf einmal zu Rosemaries größter Verwunderung unter das Sofa gekrochen. Von dort her jammerte er kläglich: „Sie hängen mich auf!“
Rosemarie hatte sehr viel Mitleid mit dem kleinen Schelm gehabt, sie hatte ihn vorgelockt und ihn in ihrer großen Puppenstube versteckt. Das war ein kleines Zimmer, in dem alles für Rosemaries Puppen eingerichtet war. In das Bett der größten Puppe ging Kasperle gerade noch hinein. Ein bißchen zusammenkrümmen mußte er sich freilich, wie ein Igel, aber Rosemarie sagte: „Das schadet nichts, hier findet dich niemand.“
Es war auch niemand im ganzen Schloß auf den Gedanken gekommen, in Rosemaries Puppenstube nachzusehen. Ihre Lehrerin dachte, sie hätte die ganze Zeit mit ihren Puppen gespielt, weil sie so still in der Stube gesessen hatte. Als Rosemarie hinausging, schloß sie sorgsam die Vorhänge am Puppenbett, und das Kasperle lag in dem weißen Mullbettchen, von himmelblauen Seidenvorhängen umgeben. Das Bettchen war fein und weich, nur für so einen kleinen strampeligen, unnützen Kasper zu zart und fein.
Der seufzte denn auch arg, als Rosemarie gegangen war. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte in der Puppenstube alles umgekramt; er hatte aber doch große Angst, man könnte ihn finden, darum blieb er still liegen.
Endlich kam Rosemarie wieder. Die hatte den Gästen gute Nacht sagen müssen und sollte nun selbst bald zu Bett gehen. Sie sollte sich ausschlafen, denn morgen war die Hochzeit; die wollte sie ganz und gar mitfeiern. Leise zog sie den Vorhang auseinander, begierig, ob der fremde Kasper wohl schlief.
Kasperle sah sie betrübt an, er seufzte kläglich und murmelte: „Ich kann in dem Bett nicht liegen!“
„Du mußt aber drin bleiben,“ flüsterte Rosemarie ängstlich. „Ach, Kasper,“ klagte sie, „was hast du angerichtet! Der Herzog ist bitterböse, und es sind schon dreißig Landjäger gekommen, die sollen das Schloß bewachen, damit niemand hinaus kann. Und morgen früh soll noch einmal alles, alles abgesucht werden. Dann kommen sie gewiß auch hier herein, und wenn sie dich finden, wirst du ins Gefängnis gesteckt.“
„Brrrr!“ Kasperle schüttelte sich, dazu war er doch nicht in die weite Welt gelaufen, um eingesteckt zu werden. „Ich fliehe,“ brummte er.
„Dann fassen dich die Hunde oder fangen dich die Landjäger.“ Rosemarie seufzte bekümmert. Auf einmal aber hellte sich ihr Gesichtchen auf. „Ich weiß was,“ sagte sie. „Ich gebe dir den Turmschlüssel. Gleich neben dem Turm geht es hinaus, und vielleicht ist gerade da kein Landjäger. Komm, jetzt sitzen alle beim Essen, da zeige ich dir flink den Weg.“ Sie packte fürsorglich noch ein Stück Torte ein, das sie selbst hätte essen sollen, und steckte es Kasperle zu, und dann lief sie ganz, ganz leise voran. Kasperle folgte ihr, die Schuhe in der Hand. Rosemarie stieg eine schmale, schmale Treppe hinab, dann ging sie einen Gang entlang und öffnete am Ende eine Türe, und beide betraten ein rundes Gemach. Ein Tisch stand in der Mitte, Stühle darum, es war noch so hell, daß Kasperle alles sehen konnte. Aus dem runden Zimmer führte ein schmales Treppchen abwärts, und Rosemarie belehrte Kasperle, dort müsse er hinabsteigen, die Tür unten aufriegeln, dann sei er am Parkende und komme vielleicht hinaus. Wie sie das sagte, erfaßte sie ein tiefes Mitleid mit dem armen fremden Jungen. Sie fand, er hätte doch gar nichts Schlimmes getan. „Du armer Kasper!“ flüsterte sie, und über ihr liebliches Gesicht liefen helle Tränen.
In diesem Augenblick kam sich das Kasperle selbst sehr, sehr arm und verlassen vor, und er fing an ganz erschrecklich zu heulen. Rosemarie hielt ihm rasch mit beiden Händchen den Mund zu, denn Kasperle hatte eine Stimme, die selbst durch eine dicke Turmmauer hindurchschallte. Er schwieg dann aber auch gleich und sah Rosemarie erschrocken an; doch als die sagte: „Nun muß ich gehen,“ da purzelten dem Kasperle wieder die Tränen wie ein Bächlein aus den Augen. Er war jedoch still, versprach auch, er wolle fein brav alles befolgen, was Rosemarie ihm geraten hatte, und dann hielt er ein Weilchen die feine, kleine Hand des Grafenkindes fest.
Ach, wie himmelgern wäre er jetzt hiergeblieben in dem schönen Schloß und wäre Rosemaries Spielkamerad geworden! Er legte den Kopf auf die Seite und schielte Rosemarie traurig an. Da sagte die plötzlich: „Weißt du, wie du aussiehst? Wie — wie meine Kasperlepuppe.“ Und ganz jäh begann sie sich ein wenig vor dem fremden häßlichen Jungen zu fürchten, und sie sagte rasch: „Ich muß gehen.“ Sie nickte Kasperle noch einmal zu und glitt dann leise aus dem Zimmer. Kasperle hörte sie zuschließen, dann war er allein.
Er blieb noch ein paar Minuten still sitzen, weinte bitterlich und vergaß darüber Rosemaries gute Lehren. Statt sachte das Trepplein hinabzusteigen und unten die Turmtüre aufzuschließen, wollte er erst einmal durch das Fenster hinausschauen. Er öffnete das kleine Fensterchen, das klirrte und knarrte arg, und dann streckte Kasperle den Kopf hinaus und sah sich um. Ach, war das eine schöne frische Luft draußen! Kasperle schaute in die Höhe und schaute nach rechts und nach links, und dann schaute er auch hinab.
„Wauwau, wuwuwu!“ ging es plötzlich unten los; ein großer Hund stand da und bellte zu Kasperle hinauf. „Wauwau, wuwuwu!“ Ganz drohend klang seine Stimme.
Kasperle wollte schnell den Kopf zurückziehen. Doch so schnell ging das nicht, das Fensterchen war eng und Kasperles Kopf dick, und ehe der wieder drin war, tauchte draußen ein Landjäger im Gebüsch auf.
Gab das ein Hallo! „Er steckt im Turm!“ schrie der Mann. Und dann drohte er hinauf: „Nu, warte du, dich fange ich!“ Er maß schnell das kleine Fenster mit seinem Blick, nein, da konnte selbst ein kleiner Junge nicht hindurchkriechen. Und weil er zu dem Pförtlein unten keinen Schlüssel hatte und auch wußte, daß dies immer verschlossen war, lief er eilig in das Schloß hinein, seinem Hund aber rief er zu: „Sultan, paß auf!“
Kasperle hörte ihn davonlaufen, und er besann sich einen Augenblick, was zu tun sei. Dann nahm er flink Rosemaries Kuchen vom Tisch, rannte blitzschnell das Treppchen hinab und schloß unten auf. „Wauwauwau!“ bellte ihn Sultan zornig an. Das Kasperle aber nicht faul, warf dem Hund geschwinde den Kuchen in den Rachen. Rrrabsch! Sultan vergaß das Bellen. So ein feiner Kuchen flog ihm nicht oft ins Maul. Er schleckte und schluckte, und da hatte Kasperle auch schon die kleine Türe erreicht. Sie knarrte und quietschte, da war sie schon auf, aber inzwischen hatte auch Sultan seinen Kuchen verschluckt, und er besann sich auf seine Wächterpflicht. Doch Kasperle war flinker draußen als er am Türchen. Das schlug ihm vor der Nase zu, und draußen kollerte Kasperle vor lauter Eile den Schloßberg hinab in einen kleinen Bach hinein. Das Wasser spritzte hoch auf, dem Bächlein gefiel dies Hineingeplumse gar nicht.
Oben auf dem Schloß wurde der Lärm lauter und lauter. Jetzt bellte nicht Sultan allein, auch die andern Hunde fingen an zu bellen, Stimmen wurden laut, Rufe ertönten, und Kasperle begann vor Angst zu zittern. Er rannte in seiner Furcht eine Weile in dem Bach weiter, bis er an ein Gebüsch kam; da schlüpfte er hinein. Er kroch hindurch und sah vor sich eine weite Wiese liegen, dahinter stand dunkel der Bergwald. Dort konnte er sich vielleicht verstecken. Aber statt über die Wiese zu laufen, fing Kasperle an Purzelbaum zu schlagen. Das ging so geschwinde, wie Tauwasser einen Berg hinabrennt. Da war der Wald, und Kasperle tauchte in seinen dunklen Schatten unter.
Es war aber auch die höchste Zeit. Auf dem Schloß hatten sie den Turm leer gefunden, und die Landjäger schlugen einen gewaltigen Lärm. Den hörten der Graf und seine Gäste, und als der Herzog vernahm, daß Kasperle gesehen worden war, verlangte er, man solle ihn eilig verfolgen. Er war noch immer bitterböse auf den kleinen Kerl. Dem, der ihn finden würde, versprach er eine hohe Belohnung.
Da rannte alles, was Beine hatte, um Kasperle zu suchen. Man fand auch bald, wo er ausgerissen war, denn Sultan stand und bellte die kleine Mauerpforte immerzu wütend an. „Den haben wir bald,“ sagte der Landjäger, „Sultan findet ihn schon.“
Doch Sultan fand ihn nicht. Der stand plötzlich am Bach still, schnupperte und schnupperte, aber das Wasser hatte Kasperles Fährte hinweggespült. Wo war das Kasperle?
Landjäger, Hunde, Mägde, Diener, alles rannte im Schloß umher, um das Schloß herum, Kasperle fanden sie nicht. „Er ist noch im Schloß,“ sagten die einen, „nein, er ist entwischt,“ behaupteten die Landjäger; „man muß im Walde suchen.“ Die Mägde meinten, Kasperle sei ein Gespenst, ein Kobold; aber die Hausverwalterin sagte, ein Gespenst schlecke nicht so viel Schlagsahne. Und sie sah zehnmal in den Speisekammern nach, sie dachte, Kasperle hätte sich gewiß darin versteckt.
Kasperle kletterte unterdessen den hohen Waldberg empor, der steil in die Höhe stieg. Der Wald war hier so dicht, daß sich ein kleiner Schelm schon darin verstecken konnte. Aber vor den Landjägern und den Hunden hatte Kasperle doch eine jämmerliche Angst. Darum rannte er, so schnell er konnte. Und das war nicht immer leicht. Dürre Äste, knorrige Wurzeln, auch einmal ein umgestürzter Stamm erschwerten das Fortkommen sehr. Kasperles Nase war zuletzt ganz zerschunden, so oft hatte er sich daran gestoßen. Und je höher es hinaufging, desto schlechter wurde der Weg. Steingeröll bedeckte den Boden, und ein Menschenbube wäre wohl nicht so schnell in die Höhe gelangt. Aber Kasperle stieg und stieg immer höher, bis auf einmal vor ihm eine grüne Bergwiese lag.
Es war Abend geworden, und am dunkelblauen Himmel stand schon ganz blaß und fein der Mond. Auch ein Sternlein glitzerte, aber Kasperle sah es gar nicht. Der sank müde am Waldrand nieder. Er kniff die Augen zu, und da schlief er auch schon. Und die großen Waldbäume hatten Mitleid mit dem armen, verirrten kleinen Kerl. Sie, die immer nach oben schauen, zum Himmel empor, haben gütige, fromme Gedanken, sie haben Mitleid mit den Kleinen, die sich quälen müssen auf der Erde. Und der kleine Kerl, der da so müde und abgehetzt unter ihnen schlief, tat ihnen leid. Sie rauschten ihm ein schönes, feierliches Schlummerlied, erzählten ihm Geschichten, und Kasperle schlief auf dem weichen Waldboden besser als der Herzog im seidenen Bett. Er hörte nicht, wie weiter unten im Wald die Hunde bellten und die Landjäger mit Hussageschrei den Flüchtling suchten. Bis zur Bergwiese stieg keiner hinauf, denn der Weg war so steil und beschwerlich, daß niemand dachte, Kasperle könnte denselben gegangen sein.
Kasperle schlief noch süß und fest, da kehrten die Landjäger schon in das Schloß zurück, und sie sagten nun auch: „Der hat sich im Schloß versteckt.“ Und sie bewachten das Schloß weiter, und die Hausverwalterin hütete ihre Speisekammer. Und doch fehlte darin am nächsten Tag ein großes Stück Torte. Sie sagte: „Das war der Junge,“ und die Mägde sagten es auch. Berta und Dörte aber, die beiden jüngsten, die leckten sich heimlich den Mund ab, sie hatten nämlich die Torte gegessen. Sie schrien aber am lautesten, der fremde Junge sei es gewesen.
Der Herzog wurde vor Ärger, und weil er so furchtbar erschrocken war, am Tag nach der Hochzeit krank. Vielleicht hatte er auch zu viel Kuchen gegessen, wer kann das wissen! Und der Graf rief immerzu: „Schafft mir nur den Jungen her, damit ihn der Herzog bestrafen kann! Der Herzog soll sich doch in meinem Schlosse nicht krank ärgern.“
Der kleinen Rosemarie war das Herzchen bitter schwer. Die hätte gern ihren Eltern alles gestanden, aber sie wagte es nicht. Sie fürchtete, der Herzog könnte dann auch so bitterböse auf sie werden, und sie wußte doch, sie konnte nicht einmal sagen: „Es tut mir leid.“ Dazu freute sie sich viel zu sehr über Kasperles Rettung. Aber sie ließ tief betrübt ihr Näslein hängen und ging still und blaß einher, und ihre Mutter begann sich recht um sie zu sorgen. Der Herzog krank, Rosemarie krank, es war gar nicht gemütlich im Schloß in diesen Tagen. Der gute Graf von Singerlingen dachte: Das muß ein bißchen lustiger werden, ich muß mir etwas Vergnügliches ausdenken. Und als er hörte, unten in dem winzigen Städtchen, das am Fuße des Schloßberges lag, sei ein Puppenspieler angekommen, schickte er hinab, der Puppenmann möchte heraufkommen.
„Ich habe eine Überraschung,“ sagte der Graf von Singerlingen bei Tisch. Und dann erzählte er von dem Puppenspieler.
Der Herzog, der etwas verdrießlich am Tisch saß, mußte lachen. „Das ist freilich eine schnurrige Überraschung für große Leute,“ sagte er. „Doch der Mann mag kommen, auch ein Puppenspiel kann lustig sein.“
So gab es am Nachmittag eine Vorstellung im Schloß. Der Kasperlemann aus dem Städtchen kam herauf, er stellte seine kleine Bühne auf, und dann streckte Kasperle seine große Nase heraus und — ja, was er sagen wollte, das hörten die Zuschauer gar nicht, alle riefen: „Der fremde Junge! Genau so sah er aus.“
Kasper ist’s! dachte auch Rosemarie erschrocken, und ganz jäh begann sie bitterlich zu weinen. Sie schluchzte so herzbrechend, daß der Kasperlemann seine Reden und der Herzog seinen Ärger vergaß. Der fragte milde nach Rosemaries Kummer, und da bekannte die Kleine alles, und sie war froh, es sagen zu können, zu sehr hatte das Geheimnis ihr Herz bedrückt.
„O Rosemarie,“ rief die Gräfin ganz erschrocken, „warum hast du geholfen und den schlimmen Jungen ausreißen lassen!“
„Mit Verlaub,“ redete da der Kasperlemann hinter seiner Bühne hervor, „das ist gar kein Junge, das ist ein Kasperle, ein lebendiges Kasperle.“
„Potzwetter noch einmal!“ Der Herzog sah den Kasperlemann ganz grimmig an und rief: „Was redet Er da für Unsinn? Ein lebendiges Kasperle, so etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gehört!“
Der Kasperlemann aber kam geschwind näher und verbeugte sich immerzu ganz tief. Er stippte mit der Nase beinahe auf dem Boden auf, bis der Herzog endlich rief: „Genug, genug, jetzt will ich wissen, was das mit dem Kasperle für eine Geschichte ist.“
Da erzählte der Puppenspieler vom Waldhaus und von Protzendorf und daß er Kasperle fangen wolle, und wenn er, wer weiß wie weit ziehen müßte.
War das eine sonderbare Geschichte! Der Herzog ließ sie sich dreimal erzählen, und dann mußte der Puppenspieler auch noch heilig versichern, alles sei bestimmt wahr. Ein Kasper also war der fremde Junge gewesen.
Die kleine Rosemarie dachte daran, wie sie im Turm sich vor ihm gefürchtet hatte, und daß sie sich jetzt nicht mehr fürchten würde; er war ja nur ein Kasperle. Und ihr kleines Herz brach fast vor Mitleid, als sie jetzt den Herzog sagen hörte: „Der muß gefangen werden! So einen seltsamen Kauz will ich besitzen. Wer ihn fängt, der soll eine hohe Belohnung haben. Mit dem Puppenschnitzer im Waldhaus werde ich schon einig werden; der muß mir das Kasperle überlassen. Schnell, schnell, es sollen zehn Landjäger mit Hunden ausreiten, und es soll überall nachgeforscht werden! Das Kasperle will ich haben.“
Und der Puppenspieler vergaß, daß er dem Meister Friedolin versprochen hatte, er, nur er allein solle Kasperle bekommen. Die hohe Belohnung verlockte ihn, und er gelobte dem Herzog, ihm das Kasperle zu bringen, wenn — er es erst hätte.
Der Herzog aber sagte, er würde Kasperle in einen goldenen Käfig stecken, er dürfe ihm nicht mehr ausreißen, — wenn er ihn erst hätte. Und die Landjäger sprengten davon. Unten im Städtchen erzählte es einer dem andern: „Wer das richtige Kasperle findet, der bekommt viel, viel Geld.“ Manche Leute rannten da gleich flink in die weite Welt hinein, um Kasperle zu suchen; die dachten gar, der sitze nun wohl mitten auf der Landstraße und lasse sich fangen wie ein Schmetterling.
Die kleine Rosemarie aber lag in ihrem Bett und weinte bitterlich. Als ihre Mutter noch einmal zu ihr kam, da war das Kopfkissen der Kleinen naß von den vielen Tränen. Und Rosemarie klagte der Mutter, wie leid ihr das arme verfolgte Kasperle tue, das in einen Käfig gesetzt werden solle. Die Mutter tröstete linde, noch sei Kasperle ja nicht gefangen. „Vielleicht findet er noch heim in das Waldhaus; mir scheint, das ist seine beste Heimat,“ sagte sie.
„Ich will beten, daß Kasperle heimfindet,“ flüsterte Rosemarie und faltete fromm ihre Hände. Und dann schlief sie ein und träumte: Kasperle saß in einem goldenen Käfig, und da kam ein Vogel, sang und sang, und plötzlich war um den Käfig herum der grüne Wald, und Kasperle spazierte vergnügt hinein. Er nickte ihr noch fröhlich zu, und dann war er verschwunden. Auf einmal aber kam der Herzog gelaufen und die Landjäger und viele, viele Leute, und alle riefen: „Wo ist Kasperle?“ Da fing die kleine Rosemarie an zu lachen, sie lachte und lachte und wachte schließlich von ihrem eigenen Lachen fröhlich auf. Vielleicht wird Kasperle wirklich nicht gefangen, dachte sie getröstet.