Der alte Köhler Christoph saß mit seinem Weibe Else an einem lauen Sommermorgen vor seinem Hüttchen. Vor ihnen führten Kinder ihren Ringelreigen auf, aber die Alten achteten nicht auf das Kinderspiel, sondern schienen einen schweren Kummer auf dem Herzen zu tragen. Vater Christophs Glieder waren seit Jahren gelähmt, so daß es wenig Verdienst gab und Armut und Entbehrung waren die ständigen Gäste in der armen, baufälligen Hütte. Oft konnte die Frau tagelang nicht arbeiten und für den Haushalt Geld schaffen, weil sie sich der Pflege ihres Mannes widmen mußte. Auch ihre kleinen Einnahmen aus dem gesponnenen Garn waren ausgeblieben, da Mutter Else bei ihrer Armut nicht imstande war, Flachs zu kaufen.
Vater Christoph stöhnte ob all des Kreuzes und Tränen rannen ihm über die Wangen.
„Vater,“ hob da Else an, „laß deinen Mut und deine Freudigkeit nicht sinken. Kennst du nicht den herrlichen Liedervers aus dem Gesangbuche, der mit den Worten beginnt:
Denk nicht in deiner Drangsalshitze,
Daß du von Gott verlassen seist.
Siehe, der Dichter des Liedes, aus welchem jener Vers stammt: ‚Wer nur den lieben Gott läßt walten‘, Georg Neumark, war, wie mir neulich unser lieber Herr Pfarrer, der dich so oft in deiner Krankheit besucht und tröstet, erzählte, in so bittere Not geraten, daß er seine liebe Geige versetzen mußte. Da fand er in seiner Herzensangst, wie von Gott gesandt, einen reichen Gönner, der ihm half. Aus Freude darüber sang er sein Lied: ‚Wer nur den lieben Gott läßt walten‘. Das hat seither schon manche Träne getrocknet und manchen Kreuzesträger gestärkt.“ Vater Christoph wurde ruhig und in frommer Ergebung sprachen seine zitternden Lippen:
„Denn welcher seine Zuversicht
Auf Gott setzt, den verläßt er nicht.“
Da schritt auf der Landstraße ein hübsches Mädchen einher, dem Dorfe zu. Es mußte einen weiten Weg zurückgelegt haben und schien ermüdet zu sein. Unter dem Arme trug die Kleine ein Bündel Kleider.
Als sie sich der Hütte näherte, rief sie den beiden Alten zu: „Grüß Gott! Könnt ihr mir wohl sagen, wo in diesem Dorfe der alte Köhler Christoph wohnt?“
„Der bin ich selbst,“ antwortete der Alte und im nächsten Augenblicke lag das Mädchen an seinem Halse und schluchzte: „Ihr seid mein Oheim. Ich bin Eure Nichte, die Mutter ist vor einer Woche gestorben, ihr letzter Gruß galt Euch.“
Da trat Mutter Else herbei, streichelte dem Kinde die Wangen und sprach: „Sei uns herzlich willkommen, armes Kind, du bleibst von nun an bei uns. Wir wollen dich hegen und pflegen und lieben als unser eigenes Kind.“ Christoph gab dem Kinde treuherzig die Hand und sprach: „Gott segne dich.“
Nun mußte Susi — so war ihr Name — in die Hütte eintreten, daß sie sich ausruhe und erfrische. Else bereitete ihr ein Lager von Heu und Blättern und auf ihrem ärmlichen Lager ruhte Suschen so süß wie auf weichem Flaum und liebliche Träume umgaukelten sie während der Nacht.
Seit Susis Ankunft war es im Hause lebhafter geworden. Frühmorgens schon sang sie mit silberheller Stimme ihre Lieder und begleitete sie am Abend mit der Zither, fröhliche Geschichten erzählte sie dem Oheim, so daß ihm zuweilen ein Lächeln ankam; aber Mutter Else blieb still und gedrückt. Sie sann immer darüber nach, wie sie dem Mädchen Kleidungsstücke und ein besseres Lager schaffen könnte, zumal der Winter im Anzuge war. Doch das gute Mütterchen fand trotz allen Grübelns keinen Ausweg.
So war sie denn eines Morgens in den Wald gegangen, um dürres Holz zum Feuermachen zu sammeln, als sie plötzlich eine Männerstimme hinter sich vernahm. Es war ein Kräutersammler, welcher einen Kasten mit Salben und Kräutern für Kranke auf der Schulter trug. Er grüßte Else und bot ihr seine Waren an.
„Ach,“ erwiderte diese, „das Kräutlein, dessen ich bedarf, habt Ihr gewiß nicht in Eurem Kasten. Mein Mann ist schon jahrelang von der Gicht geplagt; ich würde für das Kraut, das ihm helfen könnte, mein liebstes Andenken, eine große Silbermünze, die mir mein Pate zur Einsegnung schenkte, mit Freuden daran geben.“
Der Fremde ging mit ihr zur Hütte. Dort hatte Susi schon fleißig gewirtschaftet, das Bett des Kranken gemacht, die Stube gefegt und die Fenster geöffnet. Der Kräutermann verwandte kein Auge von dem schmucken, flinken Mädchen.
„Ist das Eure Tochter?“ fragte er Else.
„Nein, lieber Herr,“ antwortete diese, „sie ist meiner Schwägerin Kind aus dem Böhmerlande, eine Waise, und erst seit kurzer Zeit bei uns.“
Nun wandte sich der Kräutermann dem Kranken zu, fragte nach der Art seines Leidens und nahm aus seiner Kräuterbüchse einen Büschel grünen, stark riechenden Krautes. Das mußte Else kochen und mit dem Wasser die lahmen Glieder des Kranken waschen. Eine Bezahlung wies der freundliche Mann zurück und erklärte, er wolle nur ein Stündchen in der Hütte ausruhen.
Inzwischen war Susi mit ihren Morgenarbeiten fertig geworden und fragte die base, was sie nun schaffen solle.
„Kannst du spinnen, mein Kind?“ erwiderte diese. Susi schüttelte den Kopf.
„Nun, so will ich es dich lehren. Siehe, mit der einen Hand ziehe ich den Faden, während die andere die Spindel dreht.“
Der Fremde aber trat dazwischen und sprach: „Ich habe ein neues Spinngerät zu Hause. Damit geht’s weit flinker und geschickter, ich will es holen und wette, daß Susi in kürzerer Zeit ihre Weife bezieht als Ihr, Mutter Else.“
Schon wenige Stunden später kam der Kräutermann mit einem Spinnrade zurück, dessen Gebrauch den alten Köhlersleuten noch ganz unbekannt war. Es war ein zierlich gedrechseltes Gerät, oben stak auf dem Wockenstock ein Bündel Flachs, welches von einem Wockenbrief gehalten wurde, auf welchem ein sinniger Spruch stand. Flink drehte der Fremde das Rädchen, daß es summte und brummte, und Susi sah aufmerksam zu, wie er mit den Füßen trat, den Faden zog, befeuchtete, bis sich die Spindel mit Garn füllte.
„Das Spinnrad schenke ich dir, Susi,“ sagte der Kräutermann, „du wirst viel Freude daran haben und mancher Gewinn wird deine Arbeit lohnen. Auch werde ich dir einen Garnhändler zuschicken, der dir deine Arbeit gut bezahlt.“
Nun spann das fröhliche Mädchen vom Morgen bis zum Abend, sang lustige Liedchen dazu und drehte das Rädchen so flink, daß Oheim und base ihre helle Freude daran hatten. Der fremde Garnhändler kam jeden Sonnabend, um das Gespinst zu kaufen. Er lobte die feine, gleichmäßige Arbeit und zahlte reichlichen Lohn.
Auch mit dem kranken Christoph wurde es von Tag zu Tag besser, bald wurden die Glieder wieder gesund und kräftig und im nächsten Frühjahr hatte er seine völlige Gesundheit wiedererlangt.
Da versuchte er es, ein Spinnrad zu schnitzen, wie es Susi in Gebrauch hatte und siehe da! In wenigen Tagen war das Werk gelungen und Else konnte nun mit Susi um die Wette spinnen. Christophs Kunst wurde im Dorfe bekannt und in kurzer Zeit wollten die Frauen nur noch mit der „neuen Erfindung“, wie sie die Spinnräder nannten, spinnen. Durch die Anfertigung der Räder verdiente Christoph so viel Geld, daß schon ein gewisser Wohlstand in die arme kleine Hütte einkehrte.
Der Gedanke, daß ihr liebes Pflegekind noch immer auf Stroh und Heu schlafen müsse, beunruhigte Mutter Else indessen so, daß sie beschloß, auf dem Jahrmarkt in der Stadt ein Federbett zu kaufen. Bald hatte sie eins gefunden, das ihr gefiel, aber die kleine Summe, die sie dafür bestimmt hatte, reichte nicht aus, so daß sie von dem Kaufe Abstand nehmen mußte.
Gar traurig ging sie von dannen. Plötzlich stand der gute Kräutermann vor ihr, überrascht erfaßte sie seine Hand, erzählte ihm, daß ihr Mann gesund geworden sei und dankte ihm für seine Hilfe. Der Fremde aber antwortete nicht, sondern drückte ihr ein Geldstück in die Hand, welches so viel galt, daß sie das Federbett als Eigentum erwerben konnte.
Mit fröhlichem Herzen kaufte die gute Else noch mancherlei Gerätschaften und Bedürfnisse für den Haushalt ein und trug alle in ihre Herberge, von welcher aus ein junger Bauer aus ihrem Dorfe sie und ihre Einkäufe auf seinem Wagen nach Hause fuhr. Am offenen Fenster saß Susi, drehte ihr flinkes Rädchen und sang ein munteres Liedchen, als der junge Bauer vor dem Häuschen hielt. Verwundert hörte er dem Gesange der fleißigen Spinnerin zu. Als sie die base bemerkte, sprang sie fröhlich aus dem Hause und schickte sich an, das Bett in das Haus zu tragen.
Da ging dem jungen Landmann der Gedanke auf, wie glücklich er sein würde, wenn einmal das liebevolle, muntere und fleißige Mädchen sein Weib würde. Dem Gedanken folgte die Tat. Eines Sonntags kehrte er im Feiertagsgewand in der Hütte des alten Christoph ein und bat ihn und sein Weib um die Hand Susis. Er war ein guter, ordentlicher Bursche und darum erhielt er ihre freudige Zustimmung. Susi knüpfte an ihr Jawort nur die eine Bedingung, daß ihre lieben Pflegeeltern mit ihr zogen, um in ihrem neuen Heim einen sorgenfreien Lebensabend zu verbringen. Darin willigte der junge Bauer mit Freuden und die Hochzeit ward auf das Osterfest festgesetzt.
Nur ein Gedanke trübte Susis Freude über ihr Glück; sie brachte keinen Heller Geld, kein Heiratsgut, ja nicht einmal eine Webe Leinwand in die neue Wirtschaft ein. Alles, was sie durch Spinnen verdient hatte, war für die leibliche Pflege der alten Leute aufgewandt worden.
So saß sie eines Tages in Nachdenken versunken am Fenster, als es leise an die Scheiben pochte und draußen der Garnhändler stand, welcher ihr freundlich zunickte. Eben wollte sie ihn einladen, einzutreten und mit ihr die künftige Wirtschaft im Dorfe zu besichtigen, da war er verschwunden.
Draußen aber im Hausflur lagen sechs Ballen feiner Leinwand und obenauf ein Zettel, worauf geschrieben stand: „Der fleißigen Susi zum Brautschatz.“ Unter Lachen und Weinen zugleich zeigte Susi den Pflegeeltern das reiche Hochzeitsgeschenk des Garnhändlers. Vor Freude fiel sie ihnen um den Hals und jubelte wie ein Kind.
So war der Hochzeitstag herangekommen. Es war ein lieblicher, sonniger Ostertag. Wie die Erde draußen im sonnigen, jungfräulichen Frühlingskleide prangte, so anmutig und überraschend lieblich war die Erscheinung der jugendlichen Braut. Auf ihrem kunstvoll geflochtenen Haar lag ein blühender Myrtenkranz, zur Seite ging der stattliche Bräutigam und ein stilles Wohlgefallen ging über seine Züge, wenn er auf seine liebliche Braut herabsah.
Als die Trauung vorüber war und das Paar seinen Weg rückwärts nahm, da stand plötzlich der alte gute Kräutermann vor ihnen und reichte Susi einen frischen, blühenden Strauß, indem er sprach: „Die schönsten Tugenden eines Weibes sind Fleiß, Gottvertrauen und Demut. Sie sind köstlicher und wertvoller als alle Schätze der Welt. Sie bilden die beste Aussteuer, die du deinem Mann in dein neues Heim einbringen kannst. So lange du dir die Beobachtung dieser Tugenden angelegen sein lässest, wird dieser Strauß nie welken und dein Glück wird stets vollkommen sein.“ —
Nach diesen Worten zerfloß die Gestalt des Kräutermannes in Luft und „Rübezahl“ erscholl es durch die Reihen der Hochzeitsleute. Denn der Berggeist war es gewesen, der in wechselnden Gestalten Kummer und Sorgen armer Menschen in Glück und Freude verwandelt hatte.