So lauschte eines Tages Rübezahl, hinter Busch und Hecken verborgen, als plötzlich die Gestalt eines anmutigen Mädchens vor ihm stand. Rings um sie hatten sich ihre Gespielinnen ins Gras gelagert an einen Wasserfall, der seine Silberflut in ein kunstloses Becken goß, und scherzten mit ihrer Gebieterin in unschuldvoller Fröhlichkeit. Dieser Anblick wirkte so wundersam auf den lauschenden Berggeist, daß er seiner geistigen Natur und Eigenschaft vergaß und das Los der Sterblichen wünschte, um nach Art der Menschen zu empfinden. Deshalb verwandelte er sich in einen schwarzen Kolkraben und schwang sich auf einen hohen Eschenbaum, der das Wasserbecken überschattete, um das anmutsvolle Schauspiel zu genießen. Doch dieser Plan war nicht zum besten ausgedacht; er sah alles mit Rabenaugen und empfand als Rabe; ein Nest Waldmäuse hatte jetzt für ihn mehr Anziehendes als das Mädchen, denn die Seele wirkt in ihrem Denken und Wollen nie anders als in Gemäßheit des Körpers, der sie umgibt.
Diese Bemerkung war ebenso schnell gemacht, als der Fehler auch verbessert war; der Rabe flog ins Gebüsch und verwandelte sich in einen blühenden Jüngling. Das war der rechte Weg.
Die schöne Maid war die Tochter des schlesischen Fürsten, der in der Gegend des Riesengebirges damals herrschte. Sie pflegte oft mit den Jungfrauen ihres Hofes in den Hainen und Gebüschen des Gebirges zu lustwandeln, Blumen und duftende Kräuter zu sammeln oder für die Tafel ihres Vaters ein Körbchen Waldkirschen oder Erdbeeren zu pflücken und, wenn der Tag heiß war, sich bei der Felsenquelle am Wasserfalle zu erfrischen und darin zu baden. Von diesem Augenblick an war der Berggeist an diesen Ort wie gebannt und täglich harrte er der Wiederkehr der fröhlichen Gesellschaft.
In der Mittagsstunde eines schwülen Sommertages besuchte sie wieder mit ihrem Gefolge die kühlen Schatten am Wasserfalle. Ihre Verwunderung war groß, als sie den Ort ganz verändert fand; die rohen Felsen waren mit Marmor und Alabaster bekleidet, das Wasser stürzte nicht mehr in einem wilden Strom von der steilen Bergwand, sondern rauschte, durch viele Abstufungen gebrochen, mit sanftem Gemurmel in ein weites Marmorbecken herunter, aus dessen Mitte ein rascher Wasserstrahl emporschoß und, in einen dichten Platzregen verwandelt, den ein laues Lüftchen bald auf diese, bald auf jene Seite warf, in den Wasserbehälter zurückplätscherte. Sternblumen, Lilien und Vergißmeinnicht blühten an dessen Rande, Rosenhecken, mit Jasmin und Silberblüten durchwunden, zogen sich in einiger Entfernung durch den Raum dahin. Rechts und links des Springbrunnens öffnete sich der doppelte Eingang einer prächtigen Grotte, deren Wände und Bogengewölbe in buntfarbiger Bekleidung prangten, von Bergkristall und Frauenglas, alles funkelnd und flimmernd, daß der Abglanz davon das Auge blendete. In verschiedenen Nischen waren die mannigfaltigsten Erfrischungen aufgetischt, deren Anblick zum Genuß einlud.
Die Prinzessin stand lange in stummer Verwunderung da und wußte nicht, ob sie ihren Augen trauen, diesen bezauberten Ort betreten oder fliehen sollte. Aber sie konnte der Begierde nicht widerstehen, alles zu beschauen und von den herrlichen Früchten zu kosten, die für sie aufgetragen zu sein schienen. Nachdem sie sich mit ihrem Gefolge genug belustigt und alles fleißig durchmustert hatte, kam sie Lust an, in dem Wasserbecken zu baden.
Kaum aber war die liebliche Prinzessin über den glatten Rand des Beckens hinabgeschlüpft, so sank sie in eine endlose Tiefe, obgleich der betrügliche Silberkies, der aus dem seichten Grund hervorschien, keine Gefahr vermuten ließ. Schneller als die herzueilenden Jungfrauen das goldgelbe Haar der blonden Gebieterin erfassen konnten, hatte die gierige Flut sie schon in die Tiefe gezogen. Laut klagte die bange Schar der erschrockenen Mädchen, als die Herrin vor ihren sichtlichen Augen dahinschwand; sie rangen und wanden die schneeweißen Hände und liefen ängstlich am marmornen Gestade hin und her, indes der Springbrunnen sie recht geflissentlich mit einem Platzregen nach dem andern übergoß. Doch wagte es keine, der Entschwundenen nachzuspringen, außer Brünhild, ihrer liebsten Gespielin, die nicht säumte, sich in den grundlosen Wirbelstrom zu stürzen, gleiches Schicksal mit ihrer geliebten Gebieterin erwartend. Aber sie schwamm wie ein leichter Kork auf dem Wasser und trotz aller Versuche war sie nicht imstande, unterzutauchen.
Hier war kein anderer Rat, als dem König das Unglück seiner Tochter mitzuteilen. Wehklagend begegneten ihm die zagenden Mädchen, als er eben mit seinem Jagdgefolge in den Wald zog. Der König zerriß sein Kleid vor Betrübnis und Entsetzen, nahm die goldene Krone vom Haupte, verhüllte sein Angesicht mit dem Purpurmantel und beklagte laut den Verlust seiner schönen Tochter Emma.
Nachdem er der Vaterliebe den ersten Tränenzoll entrichtet hatte, stärkte er seinen Mut und machte sich auf, um den wunderbaren Wasserfall selbst zu beschauen. Aber der Zauber war verschwunden, die rohe Natur stand wieder da in ihrer vorherigen Wildheit; da war keine Grotte, kein Marmorbad, kein Rosengehege, keine Jasminlaube. Der gute König ahnte zum Glück nicht eine Verführung seiner Tochter, sondern er nahm den Bericht der Mädchen auf Treu und Glauben an und meinte, einer der Götter sei bei dieser wunderbaren Begebenheit mit im Spiel gewesen, setzte darauf die Jagd fort und tröstete sich bald über seinen Verlust. Unterdessen befand sich die liebreizende Emma in des Berggeistes Schlosse nicht übel. Er hatte sie durch eine geschickte Versenkung nur den Augen ihres Gefolges entzogen und führte sie durch einen unterirdischen Weg in einen prächtigen Palast, zu welchem die väterliche Residenz in keinem Vergleich stand. Als sich die Lebensgeister der Prinzessin wieder erholt hatten, befand sie sich auf einem gewöhnlichen Sofa, angetan mit einem Gewand von rosenfarbener Seide und einem glänzenden lichtblauen Gürtel. Ein Jüngling mit hübschem Antlitz lag zu ihren Füßen und gestand ihr seine Liebe. Der Berggeist — denn er war es — unterrichtete sie hierauf von seinem Stand und seiner Herkunft, von den unterirdischen Staaten, die er beherrschte, führte sie durch die Zimmer und Säle des Schlosses und zeigte ihr dessen Pracht und Reichtum. Ein herrlicher Lustgarten, der mit seinen Blumenanlagen und Rasenplätzen dem Fräulein ganz besonders zu behagen schien, umgab das Schloß von drei Seiten. Alle Obstbäume trugen purpurrote, mit Gold gesprenkelte oder zur Hälfte übergoldete Apfel, wie sie kein Gärtner zu ziehen vermag. Das Gebüsch war mit Singvögeln angefüllt, die ihre hundertstimmigen Lieder munter erschallen ließen. In den traulichen Bogengängen lustwandelte das Paar; sein Blick hing an ihren Lippen und mit Freuden hörte er ihre lieblichen Worte.
Nicht gleiche Wonne empfand die reizende Emma; ein gewisser Trübsinn lag auf ihrer Stirn und offenbarte genugsam, daß geheime Wünsche in ihrem Herzen verborgen lagen, die mit den seinigen nicht übereinstimmten. Er machte gar bald diese Entdeckung und bestrebte sich, durch tausend Liebesbeweise diese Wolken zu zerstreuen und die Prinzessin aufzuheitern; doch vergebens. Der Mensch — so dachte er bei sich selbst — ist gesellig wie die Biene und die Ameise, der schönen Sterblichen gebricht’s an Unterhaltung. Wem soll sich das Mädchen mitteilen? Für wen ihren Putz ordnen, mit wem darüber zu Rate gehen? Da kam ihm ein glücklicher Einfall. Flugs ging er hinaus auf das Feld, zog auf einem Acker ein Dutzend Rüben aus, legte sie in einen zierlich geflochtenen Korb und brachte diesen der schönen Emma, welche einsam in der schattigen Laube eine Rose entblätterte.
„Schönste der Erdentöchter,“ redete sie der Berggeist an, „verbanne allen Trübsinn aus deiner Seele und öffne dein Herz der geselligen Freude, du sollst nicht mehr in meinem Heim einsam trauern. In diesem Korbe ist alles, was du bedarfst, diesen Aufenthalt dir angenehm zu machen. Nimm den kleinen buntgeschälten Stab und gib durch die Berührung mit ihm den Gewächsen im Korbe die Gestalten, welche dir gefallen.“
Hierauf verließ er die Prinzessin und sie zögerte nicht einen Augenblick, mit dem Zauberstabe nach Vorschrift zu verfahren, nachdem sie den Korb geöffnet hatte. „Brünhilde,“ rief sie, „liebe Brünhilde, erscheine!“ Und Brünhilde lag zu ihren Füßen, umfaßte die Knie ihrer Gebieterin, benetzte ihren Schoß mit Freudentränen und liebkoste sie freundlich, wie sie sonst zu tun pflegte. Die Täuschung war so vollkommen, daß Emma selbst nicht wußte, was sie von ihrer Schöpfung halten sollte; ob sie die wahre Brünhilde hingezaubert hatte, oder ob ein Blendwerk das Auge betrog. Sie überließ sich indessen ganz den Empfindungen der Freude, ihre liebste Gespielin um sich zu haben, lustwandelte mit ihr Hand in Hand im Garten, ließ sie dessen herrliche Anlagen bewundern und pflückte ihr goldgesprenkelte Äpfel von den Bäumen. Hierauf führte sie ihre Gespielin durch alle Zimmer im Palast, bis in die Kleiderkammer, wo sie soviel Unterhaltung fanden, daß sie bis zum Abend darin verweilten. Alle Schleier, Gürtel, Spangen wurden gemustert und anprobiert. Brünhilde wußte sich dabei so gut zu benehmen und zeigte so viel Geschmack in der Wahl und Anordnung des weiblichen Putzes, daß, wenn sie ihrer Natur und Wesen nach nichts als eine Rübe war, ihr niemand den Ruhm absprechen konnte, die Krone ihres Geschlechts zu sein.
Der spähende Berggeist war entzückt über den tiefen Blick, den er in das weibliche Herz getan hatte, und freute sich über den glücklichen Fortgang in der Menschenkenntnis. Die Prinzessin dünkte ihm jetzt schöner, freundlicher und heiterer zu sein als jemals. Sie unterließ nicht, ihren ganzen Rübenvorrat mit dem Zauberstabe zu beleben, gab ihnen die Gestalt der Jungfrauen, die ihr vordem aufzuwarten pflegten, und weil noch zwei Rüben übrig waren, so verwandelte sie die eine in eine Cyperkatze und aus der anderen schuf sie ein niedliches Hündchen.
Sie richtete nun ihren Hofstaat wieder ein, teilte einer jeden der aufwartenden Dienerinnen ein gewisses Geschäft zu und nie wurde eine Herrschaft besser bedient. Die Mädchen kamen ihren Wünschen zuvor, gehorchten auf den Wink und vollstreckten ihre Befehle ohne den mindesten Widerspruch. Einige Wochen genoß sie die Wonne des gesellschaftlichen Vergnügens ungestört; Reihentänze, Sang und Saitenspiel wechselten in dem Schlosse des Berggeistes vom Morgen bis zum Abend; nur merkte die Prinzessin nach Verlauf einiger Zeit, daß die frische Gesichtsfarbe ihrer Gesellschafterinnen etwas abbleichte. Der Spiegel im Marmorsaal ließ sie zuerst bemerken, daß sie allein wie eine Rose aus der Knospe hervorblühte, während die geliebte Brünhild und die übrigen Jungfrauen welkenden Blumen glichen; gleichwohl versicherten alle, daß sie sich wohl befänden, und der freigebige Berggeist ließ sie an seiner Tafel auch keinen Mangel leiden. Dennoch zehrten sie sichtbar ab, Leben und Tätigkeit schwand von Tag zu Tag mehr dahin und alles Jugendfeuer erlosch.
Als die Prinzessin an einem heiteren Morgen, durch gesunden Schlaf gestärkt, fröhlich ins Gesellschaftszimmer trat, wie schauderte sie zurück, als ihr ein Haufen eingeschrumpfter Matronen an Stäben und Krücken entgegenzitterte, mit Keuchhusten beladen, unvermögend, sich aufrecht zu erhalten. Das schäkernde Hündchen hatte alle viere von sich gestreckt und der schmeichelnde Cyper konnte sich vor Kraftlosigkeit kaum noch bewegen. Bestürzt eilte die Prinzessin aus dem Zimmer, der schaudervollen Gesellschaft zu entfliehen, trat hinaus auf den Söller und rief laut den Berggeist, welcher alsbald in demütiger Stellung auf ihr Geheiß erschien.
„Boshafter Geist,“ redete sie ihn zornig an, „warum mißgönnst du mir die einzige Freude meines harmlosen Lebens, die Gesellschaft meiner ehemaligen Gespielinnen? Ist die Einöde nicht genug, mich zu quälen, willst du sie noch in ein Krankenhaus verwandeln? Augenblicklich gib meinen Mädchen Jugend und Wohlgestalt wieder, oder Haß und Verachtung soll deinen Frevel rächen.“ „Schönste der Erdentöchter,“ erwiderte der Berggeist, „zürne nicht über die Gebühr. Alles, was in meiner Gewalt ist, steht in deiner Hand, aber das Unmögliche fordere nicht von mir. Die Kräfte der Natur gehorchen mir, doch vermag ich nichts gegen ihre unwandelbaren Gesetze. Solange Saft und Kraft in den Rüben war, konnte der Zauberstab ihr Pflanzenleben nach deinem Gefallen verwandeln; aber ihre Säfte sind nun vertrocknet und ihr Wesen neigt sich nach der Zerstörung hin, denn der belebende Geist ist verraucht. Jedoch das soll dich nicht kümmern: ein frisch gefüllter Korb kann den Schaden leicht ersetzen; du wirst daraus alle die Gestalten wieder hervorrufen, die du begehrst. Gib jetzt der Mutter Natur ihre Geschenke zurück, die dich so angenehm unterhalten haben, auf dem großen Rasenplatz im Garten wirst du bessere Gesellschaft finden.“ Der Berggeist entfernte sich darauf und Prinzessin Emma nahm ihren buntgeschälten Stab zur Hand, berührte damit die gerunzelten Weiber, las die eingeschrumpften Rüben zusammen und tat damit, was Kinder, die eines Spielzeuges müde sind, zu tun pflegen: sie warf den Plunder in den Kehricht und dachte nicht mehr daran. Leichtfüßig hüpfte sie über die grünen Matten dahin, den frisch gefüllten Korb in Empfang zu nehmen, den sie aber nirgends fand. Sie ging in dem Garten auf und nieder und spähte umher, aber es wollte kein Korb zum Vorschein kommen. Am Traubengeländer kam ihr der Berggeist entgegen mit so sichtbarer Verlegenheit, daß sie seine Bestürzung schon von ferne wahrnahm.
„Du hast mich getäuscht,“ sprach sie, „wo ist der Korb geblieben? Ich suche ihn schon seit einer Stunde vergebens.“
„Holde Gebieterin meines Herzens,“ antwortete der Geist, „wirst du mir meinen Unbedacht verzeihen? Ich versprach mehr, als ich geben konnte, ich habe das Land durchzogen, Rüben aufzusuchen, aber sie sind längst geerntet und welken in dumpfigen Kellern. Die Fluren trauern, unten im Tal ist’s Winter, nur deine Gegenwart hat den Frühling an diesen Felsen gefesselt und unter deinem Fußtritte sprossen Blumen hervor. Harre nur drei Monate in Geduld aus, dann soll dir’s nie an Gelegenheit gebrechen, mit deinen Puppen zu spielen.“
Ehe noch der Berggeist mit dieser Rede zu Ende war, drehte ihm Prinzessin Emma den Rücken zu und begab sich in ihr Zimmer, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Er aber hob sich von dannen in die nächste Marktstadt innerhalb seines Gebietes, kaufte, als ein Pachter gestaltet, einen Esel, den er mit schweren Säcken Sämereien belud, und besäte damit einen ganzen Morgen Landes. Dabei bestellte er einen seiner dienstbaren Geister als Hüter, dem er aufgab, ein unterirdisches Feuer anzuschüren, um die Saat von unten herauf mit linder Wärme zu treiben, wie Ananaspflanzen in einem Treibhause.
Die Rübensaat schoß lustig auf und versprach in kurzer Zeit eine reiche Ernte; Fräulein Emma ging täglich hinaus auf ihr Ackerfeld, welches zu besehen sie mehr lüstete als die goldenen Äpfel in ihrem Garten. Aber Mißmut trübte ihre Augen. Sie weilte am liebsten in einem düsteren Tannenwäldchen am Rande eines Quellbaches, der sein silberhelles Gewässer ins Tal rauschen ließ, und warf Blumen hinein, die in den Odergrund hinabflossen.
Der Berggeist sah wohl, daß bei allem Bestreben, durch tausend kleine Gefälligkeiten der schönen Emma Herz zu gewinnen, kein Erfolg zu erwarten war. Trotzdem ermüdete seine hartnäckige Geduld nicht, ihren spröden Sinn zu überwinden. Er war zu unerfahren in der Menschenkenntnis, daß er sich keine Vorstellung von der wahren Ursache der Widerspenstigkeit der Prinzessin machen konnte. Er war der Meinung, sie gehöre nach allen Rechten ihm als dem ersten Besitznehmer.
Doch das war ein großer Irrtum. Ein junger Grenznachbar an den Gestaden der Oder, Fürst Ratibor, hatte bereits das Herz der holden Emma gewonnen. Schon sah das glückliche Paar dem Tage seiner Hochzeit entgegen, als die Braut mit einmal verschwand. Diese Nachricht versetzte den jungen Fürsten in große Aufregung. Er verließ seine Residenz, zog menschenscheu in einsamen Wäldern umher und klagte den Felsen sein Unglück. Die treue Emma seufzte unterdessen ihren geheimen Gram in dem anmutigen Gefängnis aus; sie bezwang aber ihre Gefühle im Herzen so, daß der spähende Geist nicht enträtseln konnte, was für Empfindungen sich darin regten. Lange schon hatte sie darauf gesonnen, wie sie ihn überlisten und aus der lästigen Gefangenschaft entfliehen möchte. Nach mancher durchwachten Nacht sann sie endlich einen Plan aus, der des Versuchs würdig schien, ihn auszuführen.
Der Lenz kehrte in die Gebirgstäler zurück, der Berggeist ließ das unterirdische Feuer in seinem Treibhaus ausgehen und die Rüben, welche durch die Einflüsse des Winters in ihrem Wachstum nicht gehindert worden waren, gediehen zur Reife. Die schlaue Emma zog täglich einige davon aus und machte damit Versuche, ihnen allerlei beliebige Gestalten zu geben, dem Anschein nach, um sich damit zu belustigen; aber ihre Absicht ging weiter. Sie ließ eines Tages eine kleine Rübe zur Biene werden, um sie abzuschicken, Kundschaft von ihrem Verlobten einzuziehen. „Flieg’, liebes Bienchen,“ sprach sie, „gegen Sonnenaufgang zu Ratibor, dem Fürsten des Landes, und summe ihm sanft ins Ohr, daß Emma noch für ihn lebt, aber eine Sklavin ist des Geistes vom Gebirge, verlier’ kein Wort von diesem Gruße und bring’ mir Botschaft von seiner Liebe.“ Die Biene flog alsbald vom Finger ihrer Gebieterin, wohin sie beordert war; aber kaum hatte sie ihren Flug begonnen, so schoß eine gierige Schwalbe auf sie herab und verschlang zum großen Leidwesen der Prinzessin die Botschafterin der Liebe. Darauf formte sie vermöge des wunderbaren Stabes eine Grille und gab ihr denselben Auftrag. „Hüpfe, kleine Grille, über das Gebirge zu Ratibor, dem Fürsten des Landes, und zirpe ihm ins Ohr, die getreue Emma begehre Lösung ihrer Bande durch seinen starken Arm.“ Die Grille flog und hüpfte so schnell als sie konnte, auszurichten, was ihr befohlen war, aber ein langbeiniger Storch promenierte eben an dem Wege, welchen die Grille zog, erfaßte sie mit seinem langen Schnabel und versenkte sie in das Verlies seines weiten Kropfes.
Diese mißlungenen Versuche schreckten die entschlossene Emma nicht ab, einen neuen zu wagen; sie gab der dritten Rübe die Gestalt einer Elster. „Flieg’ hin, beredsamer Vogel,“ sprach sie, „von Baum zu Baum, bis du gelangst zu Ratibor, meinem Verlobten, erzähle ihm von meiner Gefangenschaft und gib ihm Bescheid, daß er meiner harre mit Rossen und Mannen, den dritten Tag von heute, an der Grenze des Gebirges, im Maiental, bereit, den Flüchtling aufzunehmen, der seine Ketten zu zerbrechen wagt und Schutz von ihm begehrt.“ Die Elster gehorchte, flatterte von einem Ruheplatz zum andern und die sorgsame Emma begleitete ihren Flug, soweit das Auge trug. Der harmvolle Ratibor irrte noch immer trüben Sinnes in den Wäldern herum; die Rückkehr des Lenzes und die wiederauflebende Natur hatten seinen Kummer nur gemehrt. Er saß unter einer schattigen Eiche, dachte an seine Prinzessin und seufzte laut: Emma! Alsbald gab das vielstimmige Echo ihm diesen geliebten Namen schmeichelnd zurück; aber zugleich rief auch eine unbekannte Stimme den seinigen aus. Er horchte hoch auf, sah niemand, wähnte eine Täuschung und hörte den nämlichen Ruf wiederholen. Kurz darauf erblickte er eine Elster, die auf den Zweigen hin- und herflog, und vernahm, daß der geschwätzige Vogel ihn beim Namen rief. „Armer Schwätzer,“ sprach er, „wer hat dich gelehrt, diesen Namen auszusprechen, der einem Unglücklichen zugehört, welcher wünscht, von der Erde vertilgt zu sein wie sein Gedächtnis?“ Hierauf faßte er erregt einen Stein und wollte ihn nach dem Vogel schleudern, als dieser den Namen Emma hören ließ. Dies Zauberwort entkräftete den Arm des Prinzen; frohes Entzücken durchschauerte alle seine Glieder und in seiner Seele bebte es leise nach: Emma! Aber der Sprecher auf dem Baume begann mit der dem Elsterngeschlecht eigenen Beredsamkeit den Spruch, den man ihm anvertraut. Fürst Ratibor vernahm kaum die fröhliche Botschaft, da ward’s hell in seiner Seele; der tödliche Gram, der die Sinne gefangen hatte, verschwand; er kam wieder zu Gefühl und Besinnung und forschte mit Fleiß von der Glücksverkünderin nach dem Schicksal seiner Braut; aber die gesprächige Elster konnte nur ihr Sprüchlein ohne Aufhören wiederholen und flatterte davon. Schnellen Fußes eilte Ratibor zu seinem Hoflager zurück, rüstete eilig das Geschwader der Reisigen, bestieg sein Roß und zog mit ihnen hoffnungsfreudig zum Maientale, um das Abenteuer zu bestehen.
Emma hatte unterdessen mit weiblicher Schlauheit alles vorbereitet, ihr Vorhaben auszuführen. Sie ließ ab, den geduldigen Berggeist mit kränkender Kälte zu behandeln, ihr Auge sprach Hoffnung und ihr spröder Sinn schien beugsamer zu werden. Solche glücklichen Anzeichen ließ der Berggeist nicht ungenützt. Er erneuerte seine Werbung und wurde nicht zurückgewiesen. Den folgenden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, trat die schöne Emma, geschmückt wie eine Braut, hervor, mit allem Geschmeide beladen, das sich in ihrem Schmuckkästlein gefunden hatte. Ihr blondes Haar war in einen Knoten geschlungen, welchen eine Myrtenkrone überschattete, von welcher ein Schleier lang herabwallte; der Besatz ihres Kleides funkelte von Juwelen und als der harrende Berggeist auf der großen Terrasse im Lustgarten ihr entgegenwandelte, freute er sich dieses Anblickes.
„Himmlisches Mädchen,“ stammelte er ihr entgegen, „verweigere mir nicht länger den bejahenden Blick, der mich zum glücklichsten Wesen macht, das jemals die Sonne bestrahlt hat.“
Die Prinzessin hüllte sich dichter in ihren Schleier und antwortete: „Vermag eine Sterbliche dir zu widerstehen, mein Gebieter? Deine Standhaftigkeit hat den Sieg davongetragen. Nimm dieses Geständnis von meinen Lippen, aber laß meine Tränen diesen Schleier verhüllen.“
„Warum Tränen, o Geliebte?“ entgegnete ihr der beunruhigte Geist, „jede deiner Tränen fällt wie ein brennender Tropfen auf mein Herz, ich will nur deine Liebe, nicht aber Aufopferung.“
„Ach,“ erwiderte Emma, „warum mißdeutest du meine Tränen? Mein Herz lohnt deine Freundschaft, aber bange Ahnung zerreißt meine Seele. Du alterst nimmer, aber irdische Schönheit ist eine Blume, die bald dahinwelkt. Woran soll ich erkennen, daß du ein liebevoller, gefälliger, duldsamer Gemahl sein werdest?“
Er antwortete: „Fordere einen Beweis meiner Treue oder des Gehorsams in Ausrichtung deiner Befehle, oder stelle meine Geduld auf die Probe und beurteile alsdann die Stärke meiner unwandelbaren Liebe.“
„Es sei also!“ antwortete die schlaue Emma, „ich fordere nur einen Beweis deiner Gefälligkeit. Gehe hin und zähle die Rüben alle auf dem Acker; mein Hochzeitstag soll nicht ohne Zeugen sein, ich will sie beleben, damit sie mir zu Brautjungfrauen dienen; aber hüte dich, mich zu täuschen und verzähle dich nicht um eine, denn das ist die Probe, woran ich deine Treue prüfen will.“
So ungern sich der Berggeist in diesem Augenblicke von seiner lieblichen Braut trennte, so gehorchte er doch ohne Säumen, machte sich rasch an die Arbeit und hüpfte hurtig wie ein Star unter den Rüben herum. Er kam durch diese Geschäftigkeit mit seiner Zählung bald zustande; doch um der Sache recht gewiß zu sein, wiederholte er seine Rechnung nochmals und fand zu seinem Verdruß eine Abweichung bei Feststellung der Summen, welche ihn nötigte, zum dritten Male die Rübenhäupter durchzumustern. Aber diesmal ergab sich eine andere Summe.
Die schlaue Emma hatte nicht sobald den Berggeist aus den Augen verloren, als sie zur Flucht Anstalt machte. Sie hielt eine saftige, wohlgenährte Rübe in Bereitschaft, welche sie flugs in ein mutiges Roß mit Sattel und Zeug verwandelte. Rasch schwang sie sich in den Sattel, flog über die Heiden und Steppen des Gebirges dahin und das flüchtige Roß brachte sie, ohne zu straucheln, auf seinem sanften Rücken hinab ins Maiental, wo sie dem geliebten Ratibor, welcher der Kommenden ängstlich entgegenharrte, sich fröhlich in die Arme warf.
Der geschäftige Berggeist hatte sich indessen so in seine Zahlen vertieft, daß er nichts von dem, was um ihn und neben ihm geschah, wußte. Nach langer Mühe und Anstrengung war’s ihm endlich gelungen, die wahre Zahl der Rüben auf dem Ackerfelde, klein und groß mit eingerechnet, zu finden. Er eilte nun froh zurück, sie seiner Herzensgebieterin gewissenhaft zu berichten und durch die pünktliche Erfüllung ihrer Pläne sie zu überzeugen, daß er ihr ein gefälliger Gemahl sein werde.
Mit Selbstzufriedenheit trat er auf den Rasenplatz, aber da fand er nicht, was er suchte; er lief durch die bedeckten Lauben und Gänge, aber auch da war nicht, was er begehrte; er kam in den Palast, durchspähte alle seine Winkel, rief den teuren Namen Emma aus, den ihm die einsamen Hallen zurücktönten, begehrte einen Laut von dem geliebten Munde zu hören; doch da war weder Stimme noch Rede. Das fiel ihm auf, er merkte Unrat, flugs warf er die schwerfällige Verkörperung ab, schwang sich hoch in die Luft und sah die fliehende Emma in der Ferne, als eben das schnellfüßige Roß über die Grenze setzte. Wütend ballte der ergrimmte Geist ein paar friedlich vorüberziehende Wolken zusammen und schleuderte einen kräftigen Blitz der Fliehenden nach, der eine tausendjährige Grenzeiche zersplitterte; aber darüber hinaus war seine Rache kraftlos und die Donnerwolke zerfloß in einen sanften Heiderauch. Nachdem er die oberen Luftregionen verzweiflungsvoll durchkreuzt und seine stürmende Leidenschaft ausgetobt hatte, kehrte er trübsinnig in den Palast zurück, schlich durch alle Gemächer und erfüllte sie mit Seufzen und Stöhnen. Nachher besuchte er noch einmal den Lustgarten, doch diese ganze Zauberschöpfung hatte keinen Reiz mehr für ihn. Der Gedanke an die Tage, welche hier die Ungetreue verlebt hatte, beschäftigte ihn mehr als die goldenen Äpfel und prächtigen Blumen. Die Erinnerung an sie erwachte wieder an jedem Platze, wo sie vormals ging und stand, wo sie Blumen gepflückt, wo er sie oft unsichtbar belauscht, oft trauliche Unterredungen mit ihr gepflogen hatte. Alles das bedrückte ihn so sehr, daß er unter der Last seiner Gefühle in dumpfes Hinbrüten versank. Bald darauf brach sein Unmut in gräßliche Verwünschungen aus und er vermaß sich hoch und teuer, der Menschenkenntnis ganz zu entsagen und von diesem argen, betrüglichen Geschlechte fernerhin keine weitere Kenntnis zu nehmen. In dieser Entschließung stampfte er dreimal auf die Erde und der ganze Zauberpalast mit all seiner Herrlichkeit kehrte in sein ursprüngliches Nichts zurück. Der Abgrund aber sperrte seinen weiten Rachen auf und der Berggeist fuhr hinab in die Tiefe bis in die entgegengesetzte Grenze seines Gebietes, in den Mittelpunkt der Erde, und nahm Bitterkeit und Menschenhaß mit dahin.
Während dieses Vorganges im Gebirge war Fürst Ratibor geschäftig, seine Braut in Sicherheit zu bringen, und führte sie mit fürstlichem Gepränge an den Hof ihres Vaters zurück. Daselbst wurde ihre Vermählung gefeiert. Er teilte mit seiner Gattin den Thron seines Erbes und erbaute die Stadt Ratibor, die noch seinen Namen trägt bis auf diesen Tag. Das sonderbare Abenteuer der Prinzessin, welches ihr auf dem Riesengebirge begegnet war, insbesondere ihre kühne Flucht, wurde das Märchen des Landes, pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht fort bis in die entferntesten Zeiten. Die Bewohner der umliegenden Gegenden, die den Nachbar Berggeist bei seinem Geisternamen nicht zu nennen wußten, legten ihm einen Spottnamen bei und riefen ihn fortan „Rübezähler“ oder kurzweg „Rübezahl“.