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Noch 1 Meter ... Benno sah sich um, um diese Zeit war der Parkplatz neben dem Baumarkt nur spärlich belegt. Er sah wie ein Familienvater gerade die letzten Farbeimer in das Heck eines Kombis packte, während die Mutter die Kinder auf dem Rücksitz anschnallte. Ein älteres Ehepaar schob einen riesigen Buchsbaum zu ihrem Auto und zwei Teenager verstauten gerade Regalbretter. Keiner beachtete ihn.
Benno hatte viel Zeit. In den ersten 6 Monaten, nachdem er arbeitslos geworden war, hatte er noch Hoffnung. Doch jede abgelehnte Bewerbung brachte ihn ein Stück näher. Näher an das was er heute war: ein vorbestrafter Gelegenheitsdieb.
Benno schob sein Fahrrad näher an die Beifahrer-Tür des 5-er BMW und schaute in das Wageninnere. Da lag tatsächlich die Handtasche der Frau.
Als Benno zu Hause seine Beute begutachtete war er enttäuscht: eine Haarbürste, ein Lippenbalsam, Schminktücher, ein Kalender. Aber nicht das, was er sich am Meisten erhofft hatte: Geld.
Nur zwei Eintrittskarten für irgend so ein Fußballspiel. Er mochte kein Fußball.
Vielleicht würde er die Karten bei ebay verkaufen.
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"Vor 2 Tagen. Wir haben unsere Tochter vor 2 Tagen das letzte Mal gesprochen, das war am Samstag".
Die ältere Frau wischte sich wiederholt Tränen aus dem Gesicht. Vor ihr auf dem Couchtisch lag ein Knäuel von Papiertaschentüchern. Sie hielt die Hand ihres Mannes, der mit leerem Blick an den beiden Polizisten vorbeistarrte.
"Sie wollte uns Sonntag mittag besuchen". "Sie war so aufgekratzt und wollte uns etwas wichtiges mitteilen … aber nicht am Telefon, Mama, hat sie noch gesagt."
"Als Sie dann nicht gekommen ist, haben wir uns Sorgen gemacht. Auch ans Telefon ist sie nicht gegangen. Auf Ihrem Handy war nur der Anrufbeantworter. Mein Mann ist zu Ihrer Wohnung gefahren. Ihr Auto stand vor der Tür, aber sie war nicht da. Er hat bei den Nachbarn gefragt, keiner hat sie am Sonntag gesehen." Wieder schluchzte die Frau.
Der jüngere der beiden Polizeibeamten machte sich Notizen. Der andere räusperte sich kurz . Er hob seinen Blick vom Foto der jungen hübschen Frau mit den blonden Haaren und schaute wieder zu den Eltern.
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Jan Kruger wollte gerade auf dem Absatz kehrt machen. 3 x langes Klingeln hatte keine Wirkung gezeigt. Jetzt hörte er ein Schlurfen hinter der Tür, die Tür wurde einen Spalt geöffnet und ein müdes Gesicht schaute ihn fragend an. "Tut mit leit Chef, wenn ich ihren freien Tag störe, aber die halbe Mannschaft ist wegen Grippe ausgefallen."
Kommissar Ralfs rieb sich die Augen. "Was ist denn los?"
"Eine Gruppe Nordic Walker hat am See eine Leiche gefunden".
"Es lebe der Sport …", grummelte Ralfs. Kommen Sie rein, ich spring nur schnell unter die Dusche.
Eine halbe Stunde später waren sie am Tatort. Männer mit Plastikhandschuhen und weißen Overalls sicherten Spuren. Ein anderer stand mit einem Notizblock vor 3 Frauen. Die Frauen trugen Skistöcke und Trainingsanzüge . Jemand untersuchte die Leiche. Sie lag auf dem Bauch und unter der Wollmütze lugten lange, blonde Haare hervor.
4
"Sie war schwanger. Etwa 4. Woche. Haben Sie das gewusst?" Kommissar Ralfs und sein Assistent Jan blickten in die vom Schmerz gezeichneten Gesichter der Eltern, die jetzt beide erstaunt den Kopf schüttelten.
"Oh Gott, nein. Oh mein Gott, das ist ja furchtbar. Ich meine, der Mörder hat unsere Tochter und unser Enkelkind auf dem Gewissen!" schluchzte die Frau.
"Finden Sie ihn" sagte der Mann.
Jan und Kommissar Ralfs warfen sich einen kurzen Blick zu. Die Statistik sagte etwas anderes.
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"5 = Mangelhaft. Hat sein Geld bei Hannover 96 nicht verdient". Wütend warf er die Zeitung in die Ecke. Er würde es noch allen zeigen. Na gut, das war nicht sein Spiel gewesen. Kann doch jedem Mal passieren, einen Elfer zu verschießen. Aber er würde es wieder gut machen. Er würde nicht kneifen und beim nächsten Mal würde er ihn reinmachen. Dann war er der Held.
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6. Stockwerk. Als sich die Fahrstuhltür öffnete, blickten sie in das Zahnpasta-Lächeln einer adrett gekleideten Blondine. "Kommen sie, meine Herren, der Chef erwartet sie." Kommissar Ralfs und Jan folgten ihr, oder besser der Blick folgte ihren Hüften und ihrem Po, der sich in dem engen Kostüm mehr als deutlich abzeichnete.
"Ich glaub wir haben den falschen Beruf" flüsterte Jan. " Tja, da steckt keiner drin" bemerkte Ralfs mit einem kurzen Heben der Augenbrauen und blickte erneut der Blondine nach.
Sie öffnete die Tür zu einem Vorzimmer und bat beide Platz zu nehmen.
Im nächsten Augenblick kam durch die Verbindungstür ein großer, gut aussehender Mann, etwa Anfang 40, die Schläfen leicht grau meliert. Er erinnerte Ralfs ein wenig an diesen Hollywood-Schauspieler, Richard Gere.
Er drückte sein tiefes Bedauern über den gewaltsamen Tod seiner Angestellten aus.
"Eine wirklich tüchtige Person". "Wie kann ich ihnen weiter helfen?".
Mehr als Nettigkeiten über die Tode wusste "Richard Gere" jedoch nicht zu berichten.
"Können wir noch einen Blick in das Büro der Toten werfen?" fragte Jan.
Sie durften.
"Wir müssten auch den Computer beschlagnahmen. Ist das in Ordnung?" Das war nicht wirklich eine Frage, Ralfs wollte nur höflich sein.
"Kein Problem, Sie müssten nur den Empfang quittieren, meine Assistentin füllt Ihnen das entsprechende Formular aus". Jan lächelte.
Einen Tag später kam Jan mit einem Notizblatt in das Büro seines Chefs.
"Unsere Computerexperten konnten das Passwort knacken und haben den Computer nach nützlichen Infos durchsucht. Viel ist dabei nicht rausgekommen. Wir haben nur dienstliche Kontakte gefunden. Im Online-Kalender sind einige Termine eingetragen, auch für die kommende Woche".
Kommissar Ralfs nahm die Liste und schaute auf die Notizen.
Sein Blick fiel auf den letzten Eintrag in der Liste:
Samstag, 15:30h = 96 - FCB, Block W3, Reihe 10, Platz 10 + 11.
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Als sie 7 Jahre alt war, hab ich sie zum ersten Mal mitgenommen zu einem Heimspiel von 96. Sie war ganz fußballverrückt", sinnierte der alte Mann. "Meine Frau sagte immer: Mädchen, was willst Du beim Fußball?".
Kommissar Ralfs und Jan waren erneut bei den Eltern, um jeder noch so kleinen Spur nachzugehen.
"Mit wem Sie dort hin wollte? Keine Ahnung".
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Als Benno die Seite 8 im Lokalteil der Zeitung aufschlug, fiel sein Blick auf das Foto einer jungen, hübschen Frau.
Gebannt lass er den Artikel über den Mord und dass die Polizei bislang vergeblich nach einer Spur suchte.
Er hatte sie gesehen und er hatte auch ihren Begleiter an diesem Samstag gesehen, als sie aus dem BMW stiegen und sie ihre Handtasche zurückließ.
Und was noch besser war: er kannte ihn! Es hatte einmal ein Vorstellungsgespräch gegeben, ja, er konnte sich noch gut an diesen arroganten Schnösel erinnern.
Jetzt war es an der Zeit, etwas vom Glück zurückzuholen.
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"Ich will nicht unverschämt sein: 9 Tausend. Das ist nicht viel für Sie. Für mich schon.
Sie kriegen die Handtasche zurück und mich sehen sie nie wieder".
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Das war der zweite Mord innerhalb von 10 Tagen. Manchmal hasste Kommissar Ralfs seinen Beruf.
Und dieser Mord ergab gar keinen Sinn. Wer bringt einen arbeitslosen, vorbestraften, kleinen Dieb um?
Das einzig Wertvolle in der Wohnung des Opfers war ein Computer älteren Baujahrs.
Sollten sich halt die Computerfuzzis mal wieder drum kümmern. Er mochte die Dinger nicht besonders.
Einen Tag später hat Ralfs wieder einen Computerausdruck auf dem Tisch. Wieder ohne nennenswerte Infos. Nur eine Sache erweckt seine Aufmerksamkeit: Benno hatte versucht, bei ebay zwei Karten für ein Fußballspiel zu verkaufen:
96 - FCB, Block W3, Reihe 10, Platz 10 + 11.
Das Ende der Versteigerung ist morgen.
Aber man hatte keine Karten bei Benno gefunden.
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Elfmeter! Das Station tobt. Elfmeter in der letzten Minute der Nachspielzeit. Gegen den großen FC Bayern. Der möglich Siegtreffer!
Als dann der Gefoulte selbst den Ball nimmt, kommen einige Pfiffe von den Rängen. Den letzten Elfmeter hat er verschossen. Das wissen die eingefleischten 96-Fans.
Aber er geht schnurstracks zum Elfmeter-Punkt, wirkt ganz konzentriert. Hat ein gutes Spiel gemacht.
Hat er die Nerven? Jaaaa! Toooooor! 49000 brüllen Tor. Das Stadion bebt.
Auch auf der Westtribüne Unterrang.
In Block W3, Platz 10 + 11 fallen sich ein gut aussehender Mann und eine Blondine in den Arm.
Plötzlich stutzt der Mann. Er hat einige Reihen hinter sich einen Mann erblickt. Dieser Mann ist nicht aufgesprungen, obwohl auch er einen 96-Schal trägt.. Er sitzt ganz ruhig da und schaut und lächelt. In der Hand ein Walkie-Talkie.