Hexe Antras Schwester Sasu ärgert sich. Tag für Tag tut sie das. Antra ist nicht mehr da! Und wer hat Schuld daran? Das elende Zauberpferd SternLicht!
Barsch schubst Sasu ihren Diener zur Seite und sagt: "Lass mich das machen, Zwerg. Deine Dummheit bringt mich noch mal um! Was ist so schwer daran, ein Feuer in Gang zu halten? Ich hätte es wissen müssen! Deinen Namen trägst du zu Recht. ‚Kannnix'. Oder?" Misstrauisch schaut Sasu den verängstigten Zwerg an. "Oder verstellst du dich nur? Hoffst darauf, dass ich dich zu deinem Volk zurückschicke? Da kannst du lange warten, Bürschchen! So lange ich lebe, wirst du mein Sklave sein. Deine Leute haben dich sowieso vergessen. Niemand wird dich befreien. Nicht mal das hässliche Zauberpferd. Dieses grässliche Ding weiß nicht, dass der Gruselwald mein Reich ist. Oh, widerliches SternLicht! Bald wirst du meine Rache spüren. Mir, der Hexe Sasu, nimmt man nicht einfach so die Schwester und Freunde weg!"
Ein paar Tränen rollen an der großen Hexennase entlang. Plitsch-platsch fallen sie auf den Boden. Kannnix springt entsetzt zur Seite. Denn dort, wo die Tränen landen, krabbeln plötzlich kleine giftig aussehende Spinnen umher.
Sasu schenkt den Tierchen keine Beachtung. Eben so wenig dem verängstigten Zwerg. Angestrengt denkt die Hexe nach. Die Rache für das Zauberpferd muss gut erdacht sein. Sasu will keine Fehler machen. Aus diesem Grund hat sie - unbemerkt von allen - SternLicht und seine Freunde auf deren Abenteuerreisen begleitet. Der Vernichtung des Zauberers Magissimus, des Zyklopen Argur, der Eule Kassandra und der schleimigen Gnome hat sie hilflos zusehen müssen. "Mit der Hilflosigkeit ist es jetzt vorbei", zischt sie. "Zum Glück habe ich Antras Zauberbuch gefunden. Ja, Ja! Meine wunderbar böse Schwester war eine begnadete Hexe. Und ich habe nun endlich ihre Kunst verstanden. Warte nur, warte hässliches Pferdchen! Ich werde dich mit Antras Waffen schlagen!"
Sasu kichert ihr schrecklichstes Kirchen und befiehlt dem Zwerg, den Hexenbesen startklar zu machen. Sie reißt den Kleinen zu sich auf den Besen und fliegt davon. Im Land der Zwerge will die Hexe sich auf den Kampf gegen SternLicht vorbereiten. Besonders gute Freunde warten dort auf sie. Rollo, der dreiköpfige Drache und - Sasu lächelt böse - und natürlich Perik, die außergewöhnliche Riesenkrake! Unterdessen sind SternLicht, König Peter, Mondlicht und Miserie wieder wohlbehalten in Sirras Dorf angekommen. Die Freude über die Rückkehr der vier will kein Ende nehmen.
"So hat die Märchenerzählerin Gemini Recht behalten. Eine erfolgreiche Reise liegt hinter euch", sagt Sirra. Lächelnd geht sie König Peter entgegen und umarmt ihn. Wohlwollend betrachten die Dorfbewohner das junge Paar. Ein bisschen Eigennutz birgt das Lächeln der Leute. Sie freuen sich auf die Hochzeit ihres Königs. Peter hat all seine Untertanen zu diesem Fest eingeladen. Vor allen die Menschen aus Sirras Dorf.
Zwei Wochen später liegen SternLicht und Mondlicht auf dem Rosenblattbett in SternLichts Höhle. Die Winzlinge Kling, Klang und Klingeling flattern aufgeregt umher. Natürlich wollen sie alles über Peters und Sirras Hochzeit erfahren. Doch SternLicht und Mondlicht sind müde. Sie wollen sich ein wenig ausruhen. Die Hochzeitsfeier hat acht Tage gedauert. Und an jedem dieser Tage haben die Zauberpferde sich in den Dienst der Kinder gestellt. Von morgens bis abends sind die Pferdchen mit den Kindern über König Peters Land geflogen.
"Nun brauchen wir etwas Ruhe, meine Lieben", sagt SternLicht und lächelt den Winzlingen zu. Enttäuscht sehen die kleinen Gedankenwesen aus. So sehr, dass SternLicht Mitleid mit ihnen und mit einem Male eine gute Idee hat. Ungefähr zehn Sekunden lang starrt das Zauberpferd auf die gegenüberliegende Felswand.
Seine silberfarbenen langen Wimpern beginnen zu leuchten. Das Leuchten bündelt sich zu Strahlen, die einen hellen Fleck auf die Felswand werfen. Zum Erstaunen der Winzlinge entstehen in diesem Fleck bewegliche Bilder.
"Oh, wie schön! Deine Erinnerungen, SternLicht! Jetzt erfahren wir doch alles über die Feier!", ruft Klingeling begeistert. "Ihr könnt schlafen und wir erleben das Fest. Ach, SternLicht! Du bist das beste Zauberpferd der Welt!" Die Winzlinge machen es sich auf Mondlichts Rücken bequem. Gebannt, voller Neugier schauen sie sich die beweglichen Bilder auf der Felswand an.
Sie sehen: Die Trauung in der Kirche. Menschen, die am Straßenrand Spalier stehen und dem Königspaar zujubeln.
Märchenwesen ohne Zahl, die kostbare Geschenke bringen.
An jedem Abend spielt Musik und es wird bis zum frühen Morgen getanzt. Artisten und Sänger treten auf. Gemini erzählt den Kindern, die gerade nicht durch die Lüfte reiten, Geschichten. Und Kalliope weissagt jedem, der es gerne möchte. Zum Schluss dem Brautpaar. Viele Gäste im Festsaal möchten die Weissagung hören. Doch Kalliope spricht leise. Enttäuscht ziehen die Minister und Oberhofdame Elizabeth sich zurück.
"Guck mal, Klang! Das ist vielleicht lustig! Da tanzt Isedor der Rattenkönig mit dem Igel Hugo, genannt Fröstelchen!", kichert Klingeling. Die Winzlinge bemühen sich um leises Lachen. Es gelingt ihnen nicht. Denn nun sehen sie Clodwig den hüpfenden Troll mit seiner Frau tanzen. Jetzt können die Winzlinge nicht mehr. Hell klingt ihr Gelächter. Und doch vermag es den Schlaf der erschöpften Zauberpferde nicht zu stören.
Ein anderes Geräusch holt SternLicht und seine Schwester aus dem wohlverdienten Schlaf.
Heftiges Flügelschlagen und ein allzu bekanntes Krächzen.
"Tut mir leid, meine Lieben!", schreit Miserie. "Ihr müsst sofort zum Hof des Königs kommen. Jemand bittet um Hilfe. Ich glaube, es ist der Zwergkönig aus dem Land der kargen Berge. Bitte, beeilt euch! Der Mann scheint in großer Not zu sein."
SternLicht ist sofort hellwach. Es bittet die kleinen Gedankenwesen, einen ordentlichen Vorrat an Rosennektar und Honigkraftbrot in die Satteltaschen zu packen.
Einige Minuten später stehen die Zauberpferde vor ihrem Freund, König Peter. Miserie hat sich nicht vertan. Tatsächlich! Der kleine Mann mit dem bekümmert wirkenden Gesicht ist Bodo, Oberhaupt der Zwerge. SternLicht ist ihm früher, bevor es zu den Menschen ging, manchmal begegnet. Peter fordert den kleinen Mann auf, seine Geschichte noch einmal zu erzählen.
"Glaubt mir! Wir haben lange versucht, uns zu wehren. Doch als der riesige Drache den einzigen Eingang zu unserem Tal versperrte, hat uns der Mut verlassen. Wie ihr wisst, arbeiten wir Zwerge unter Tage. Tag für Tag graben wir in engen Stollen nach Edelmetallen. Deshalb kann sich niemand um die Landwirtschaft kümmern. Nichts ist angebaut worden. Bisher haben wir unsere geschmiedeten Kunstwerke in alle Welt verkaufen können. Seit der Drache den Zugang zu unserem Tal blockiert, kommen die Händler nicht mehr. Unsere Lebensmittelvorräte gehen zu Ende. Bald gibt es nichts mehr zu essen! Das ist schon schrecklich genug. Noch furchtbarer aber ist die widerliche Riesenkrake in unserem unterirdischen Bergsee. Früher war das Wasser im See rein und klar. Heute ist es schwarz und stinkend. Sobald einer von uns in die Stollen will, taucht das Ungeheuer auf. Mit seinen langen Tentakeln versucht es jeden, der nicht schnell genug fortläuft, ins Wasser zu ziehen. Auf dem Grund des Sees sind kleine gläserne Kammern. Etliche Männer hält Perik dort gefangen. Die Türen dieser Verließe sind nur mit einem Schlüssel aus Kristall zu öffnen. Den besitzt natürlich die Krake. Wir wissen nicht ein noch aus. Deshalb hat der Zwergen-Rat beschlossen, dich liebes Zauberpferd und dich werter König, um Hilfe zu bitten. Wie ich aus dem Tal herausgekommen bin? Früher hatte jeder Zwerg eine Tarnkappe. Eines Tages waren alle bis auf meine verschwunden. Niemand weiß, wie das geschah. Ich trage meine Kappe immer bei mir. So konnte ich als einziger das Tal verlassen. Rollo, dieser Widerling, hat mich nicht bemerkt."
Bodo atmet tief durch. Die lange Rede hat ihn erschöpft. Erwartungsvoll schaut er SternLicht und König Peter an.
"Dürfen mein Volk und ich auf eure Hilfe zählen?"
"Selbstverständlich", antworten SternLicht und Peter wie aus einem Munde.
Sirra schaut von einem zum anderen, schenkt Bodo ein Lächeln und sagt dann leise, jedoch sehr bestimmt: "Und ich werde euch begleiten. Keinen Tag möchte ich ohne dich sein, Peter!"
Früh am nächsten Morgen geht die Reise los. Auch Mondlicht trägt Satteltaschen. Eine davon ist gefüllt mit Proviant. In der anderen sitzt Bodo der Zwerg. Miserie fliegt voraus. Nach zwei Tagen überfliegen die Freunde den Gruselwald. Merkwürdig! Der Wald hat sich verändert.
"He, Leute! Das kann doch nicht der Gruselwald sein! Der sieht ja wie ein ganz normaler Wald aus!", krächzt Miserie fröhlich. "Mal sehen, was passiert, wenn ich dort auf der riesigen Eiche lande!"
Nichts passiert! Weshalb der Wald heute so friedlich scheint, weiß nur SternLicht. Das Zauberpferd will seine Freunde nicht beunruhigen. So schweigt es.
Endlich! Gegen Abend ist das Zwergen-Land erreicht. Sanft landen die beiden Zauberpferde hinter dichtem Gebüsch auf einer von Disteln bewachsenen Wiese.
Von dort aus ist es nicht weit zum Tal-Eingang.
"Da! Da ist er! Sieht er nicht furchtbar aus?"
"Stimmt, Bodo! Einen Drachen mit drei Köpfen habe ich noch nie gesehen", flüstert Sirra. Angst vor diesem Ungeheuer hat sie nicht. Sie vertraut genau wie Peter, Mondlicht und Miserie auf SternLicht.
Ruckartig bewegen sich Rollos drei Köpfe. Jeder Kopf hat nur ein Auge, welches aus unendlich vielen Facetten besteht. Wachsam, voller Misstrauen, beobachtet Rollo sein Umfeld. Seine drei Nasen beginnen, auf einmal zu schnuppern.
"Hm. Was ist das für ein Geruch? Es riecht, es riecht nach …, was ist es nur?", murmelt Rollo ärgerlich. Er beschließt nachzudenken.
Nachdenken ist der Drache nicht gewohnt. Es fällt ihm schwer. Aufgeregt wackelt Rollo mit den großen Köpfen. Flammen in unterschiedlichen Farben züngeln aus den drei Drachenmäulern.
"Oh, oh!", heult der Drache los. "Jetzt weiß ich es. Es riecht nach Zwergen. Wieso hier draußen? Ich habe doch so aufgepasst! Wenn die Herrin erfährt, dass einer - oder vielleicht sogar mehrere Zwerge - aus dem Tal entkommen sind, ist es um mich geschehen!"
Rollo, der hässliche Drache, zittert und weint erbärmlich. Kullertränen laufen die langen Nasen hinunter und verdampfen im heißen Drachenatem. Das riesige Ungeheuer hat tatsächlich Angst.
Angst vor der Strafe, die seine Herrin ihm angedroht hat.
"Sollte eine dieser bärtigen Kreaturen aus dem Tal entkommen, verwandle ich dich!", hat sie gedroht. Und mit hämischen Lächeln hinzugefügt: "Dann wirst du wieder zu dem, was du früher einmal warst!"
SternLicht und Mondlicht unterhalten sich in Gedankensprache. Der jammernde Drache tut ihnen Leid. Sie wollen ihn nicht mehr besiegen. Sie wollen ihm helfen. SternLicht bittet die Freunde, in sicherem Abstand zu bleiben.
Angespannt beobachten Peter, Sirra und Miserie die kleinen Pferde.
"He, du Unglückswurm! Schluss mit der Jammerei! Oder willst du in deinem Selbstmitleid ertrinken?"
Verwundert schaut Rollo auf. Entsetzt zieht er sich ein wenig zurück und faucht: "Ihr! Ihr könnt nur die gefährlichen Zauberpferde sein! Meine Herrin hat mich vor euch gewarnt. Schrecklich seht ihr nicht aus. Mit euch werde ich in Nullkommanix fertig!"
Zum Fertigmachen bekommt der Drache keine Gelegenheit. SternLicht murmelt leise ein paar fremd klingende Worte.
Sekunden später sitzt ein hübsches rotbraunes Eichhörnchen auf dem Boden. Allerdings ein sehr empörtes Eichhörnchen.
"Was soll das? Was hast du nur getan, Pferd! Meine Herrin!"
"Deine Herrin wird, nein, sie kann dir nichts mehr tun. Ich habe dich mit einem Schutzbann belegt. Sei ehrlich, Rollo. Du weißt es genau. Ein wirklich böser Drache konntest du nie sein. Sei froh, dass ich dir deine Art zurückgegeben habe. Wenn du möchtest, kannst du mit uns ziehen. Du hast alle Freiheiten." SternLicht wendet sich an König Peter und Sirra.
"Ich weiß, wer seine Herrin war. Die Hexe Sasu, Antras Schwester. Als wir über den Wald flogen, hat Miseri es erkannt. Der Gruselwald wirkte licht und hell. Sasu hat ihn verlassen. Sie ist hier. In diesem Tal. Sie wartet auf uns. Ich fühle es."
Die Sonne ist untergegangen. Kalt ist es im Tal der Zwerge. Im Dämmerlicht sind winzige Häuschen aus seltsamen Formen zu erkennen. Bodo deutet auf ein Haus in Form und Farbe einer Pflaume.
"Da wohne ich. In den Apfelhäusern wohnen die Kunstschmiede. Dort in den Kirschhäusern die Bergarbeiter. In der Birnenstrasse sind die Schule, das Krankenhaus, der Gemeindesaal und andere öffentliche Gebäude. Wohlgeordnet war unser Leben! Und nun?"
Sirra nimmt Bodo in den Arm und sagt voller Zuversicht: "Wohlgeordnet wird euer Leben bald wieder sein, dank SternLichts und Peters Hilfe. Warte ab, kleiner Freund!"
Doch an diesem Abend bleibt es ruhig im Tal. Alle sind müde. Die Häuschen bieten keinen Platz. SternLicht zaubert flugs aus dem Tarntuch ein gemütliches Zelt. Natürlich mit einem Schutzbann belegt.
Am nächsten Morgen versammeln sich alle Talbewohner in SternLichts Zelt. Müde, sehr hungrig sehen die Leutchen aus. Dankbar greifen sie nach dem Honigkraftbrot. Auch der Rosennektar schmeckt ihnen. Mit einem Male sehen alle viel kräftiger aus. In den Augen glänzt wieder Lebensmut. Sirra kann den Blick nicht von den kleinen Wesen lassen. Besonders schön sehen die Zwerge mit ihrer schmutzigbraunen Haut nicht aus. Die langen Nasen und die wuscheligen Haare sind bei allen gleich. Gleich sind auch die Bärte. Sogar Frauen tragen sie.
"Aber die Augen sind wunderschön", flüstert Sirra Peter zu.
Schüchtern geht ein winziges Zwergen-Mädchen zu SternLicht.
"Darf ich mal deine Mähne anfassen? So ein Silber habe ich noch nie gesehen!"
"Und später darfst du gerne mit mir durch die Lüfte reiten, Bredda", sagt SternLicht freundlich.
"Wann ist denn später, SternLicht? Ach so. Wenn das Ungeheuer im See nicht mehr da ist! Juchhu! Dann haben wir endlich wieder einen Sonnenscheintag. Was das ist? Wir nennen den Sonntag so. In der Woche sind alle im Berg. Bis zum Abend. Tageslicht sehen wir nie. Nur sonntags. Und das ist dann immer ein Sonnenscheintag. Auch wenn es regnet", lacht Bredda und nimmt sich noch ein Kraftbrot.
König Peter bittet Sirra bei den Frauen im Zelt zu bleiben. Sirra ist dagegen. Da schauen die kleinen Frauen sie traurig an und wispern alle gleichzeitig: "Sie ist in Gefahr. Sie weiß es nicht. Ohne sie sind wir in Gefahr. Das weiß sie auch nicht. Bitte, Sirra bleib!"
Und so bleibt Sirra.
Auf dem Weg zum Bergwerk schickt SternLicht einen Gedankenbrief ins Regenbogenland.
Schweigend begleiten die kleinen Männer SternLicht, Peter und Mondlicht zur Berghöhle. Begeistert schaut König Peter sich in der herrlich geschmückten Höhle um. Decken und Wände sind von unzähligen Goldadern durchzogen.
"Früher wurde das Gold stets beleuchtet. Sein warmes Licht spiegelte sich im See wieder. Das Ungeheuer hat alle Lichtquellen zerstört!", flüstert Bodo zornig.
Der schwarze See erinnert an eine polierte Scheibe aus Onyx. An seinen Ufern kräuseln sich kleine weiße Wellen.
Miserie bleibt bei den verängstigten Männern am Höhleneingang.
Peter steigt aus dem Sattel. Er zieht sein Schwert und begleitet die Pferdchen zum See.
"Perik!", ruft SternLicht. "Wir sind da! Komm heraus! Oder traust du dich nicht, angesichts unserer Übermacht?" Ein eisiger Wind fegt durch die Höhle. Langsam beginnt das Wasser zu brodeln. Unglaubliches Brausen und Rauschen erfüllt die Luft.
Plötzlich schießen alle acht Arme der Krake aus dem Wasser und klatschen mit merkwürdigen Schmatzlauten ans Ufer. Der Kopf taucht auf. Aus böse glitzernden Augen starrt das Ungeheuer SternLicht an.
"Weshalb sollte ich mich nicht trauen? Aus Angst vor dir, missratenes Zauberpferd? Wir haben auf dich gewartet. Viel zu lange, scheint mir", antwortet Perik.
Einer der Fangarme greift blitzschnell nach SternLichts Vorderbeinen. Ebenso schnell schlägt Peter zu. Mühelos trennt das scharfe Schwert den Arm vom Körper des Untiers.
Schaden nimmt Perik nicht. In rasanter Geschwindigkeit wächst ihr ein neuer Tentakel. Kreischen und schrilles Lachen erfüllt den Raum. "So nicht, ihr dummen Helden! So besiegt niemand die schlauste Hexe der Welt!", schreit Perik und taucht unter.
Im nächsten Moment schnellt eine schlanke Frauengestalt aus dem Wasser. Sehr schön, sehr jung sieht die Frau aus. Sie trägt ein türkisfarbenes langes Kleid und ihr schwarzes Haar ist durchsetzt von matt schimmernden Perlen. In ihren Augen aber glänzen Hass und Grausamkeit.
Sie wirft einen Blick auf Peters Schwert und sagt verächtlich: "Vergiss dein mickriges Messerchen, königlicher Schwächling! Damit kannst du eine Hexe wie mich nicht beeindrucken!"
Kalt lächelnd, böse, furchtbar böse schaut Susa SternLicht an: "Und dein Zauber, du widerliches Wesen, schon gar nicht! In allen Ländern wird deine Zauberkraft und Intelligenz gerühmt. Welch ein Irrtum! Du hast nie gemerkt, dass ich dich seit Antra verschwunden ist, beobachte. Und jetzt hast du genau das getan, was ich wollte! Hi, Hi! Du angeblich kluges Ding bist in meine Falle gelaufen. Oder glaubst du, diese Zwerge und ihr Gold interessieren mich? Die habe ich nur in meine Gewalt gebracht, weil ich mit deiner Hilfsbereitschaft gerechnet habe. Hach! Deine viel gerühmte Hilfe ist nichts weiter als Wichtigtuerei!"
Sasus Augen verschießen sengend heiße Blitze. Donnergrollen erschüttert die Halle. Die Männer am Höhleneingang ziehen sich ängstlich zurück.
"Keine Sorge!", krächzt Miserie. "Mit solch lahmen Hokus-Pokus kann die Hexe SternLichts Schutzbann nicht durchbrechen!"
Sasu ignoriert Miseries Bemerkung. Mit dem ehemaligen Sklaven ihrer Schwester will sie später abrechnen.
Donner, Blitze, haltlose Drohungen und Hohngelächter! Nichts besonderes! Ungerührt nähert sich SternLicht der wütenden Hexe und sagt beinnahe freundlich: "Halte ein, Sasu! Du vergeudest deine Kraft. Höre mir lieber zu. Selbstverständlich habe ich immer gewusst, dass du in unserer Nähe warst. Einerlei! Ob sicht- oder unsichtbar! Ich musste dich gar nicht sehen. Ich habe dich gespürt! Wir aus dem Regenbogenland wissen stets, wann das Böse in unserer Nähe ist!"
Sasu bebt vor Zorn. Sie will keine Freundlichkeit. Sie will Kampf, das Zauberpferd vernichten. Dann ist der Weg frei. Frei, Herrscherin über alle Märchenwesen zu werden. Die schöne Frau greift hinter sich. Mit Schwung schmeißt sie Zwerg Kannnix in die Höhe. Das Gesicht Sasus verändert sich und ihr grässliches Gekreische dröhnt allen schmerzlich in den Ohren.
"Eine kleine Kostprobe meiner Kunst gefällig? Dieser Pimpf wird sich in Luft auflösen, ehe du bis drei zählen kannst, SternLicht!"
Sasu, die inzwischen ihre Hexengestalt angenommen hat, kann nicht glauben, was sie sieht. Mondlicht ist in Sekundenschnelle aufgestiegen. Kannnix fällt geradewegs auf ihren Sattel. Im Nu landen die beiden wohlbehalten hinter SternLichts Schutzwall.
"Sasu! Deiner Schwester habe ich damals freien Abgang angeboten. Sie hat ihn abgelehnt. Ein unverzeihlicher Fehler. Du scheinst aus dem Verhalten Antras nichts gelernt zu haben. Mein Angebot mache ich nur einmal. Nimm es und du darfst in Frieden ziehen! Natürlich nicht ohne vorher, Bodo dem Zwergen-Oberhaupt, den Kristallschlüssel zurückzugeben."
Mit verschränkten Armen steht die Hexe da. Noch immer bebt sie vor Wut. Ihre roten Haare sträuben sich, lodern wie Flammen. "Wer bist du, dass du mir Freiheit bietest? Nur ein Scharlatan mit Flügeln!" Still, gefährlich still wird es in der großen Halle. Sasu lächelt hintergründig, starrt zuerst Peter und dann SternLicht an. "Vielleicht hast du Recht, Pferd", zischt sie. "Verhandeln wir. Aber nach meinen Vorgaben. Hör genau zu. Auch ich sage alles nur einmal: Die jämmerlichen Zwerge bekommen den Schlüssel. Die Stollentore werde ich entzaubern und Perik verschwinden lassen, wenn ich …", listig schaut Sasu König Peter an, "wenn ich dafür das Mädchen bekomme! Denn, besitze ich die Schönheit eines Menschen, werde ich unsterblich sein! Und fremder Zauber prallt von mir ab! Na, was meinst du, Pferd. Ist das ein Vorschlag? Also holt Sirra, um deretwillen meine Schwester Antra sterben musste. Oder willst du wegen eines Menschen die gesamte Zwergen-Welt gefährden, Zauberpferd?"
SternLicht schüttelt den Kopf. Silberfünkchen steigen auf und verdichten sich zu einer Wolke. Einen Augenblick lang bleibt die Silberwolke über Sasu stehen. Das Zauberbuch schwebt aus der Satteltasche, blättert sich wie immer von allein auf.
Das Zauberpferd liest in Windeseile den Spruch der aufgeschlagenen Seite. Dann beginnt es eine wunderschöne Melodie zu summen. Mondlicht stimmt mit ein.
Und Sasu beginnt zu schreien. Wütend schleudert sie ihrer Gegnerin allerschlimmste Verwünschungen entgegen. Die Zauber der Hexe treffen nicht. Je mehr die Hexe zetert, umso tiefer sinkt die Wolke. Bald ist Sasu darin eingehüllt. Voller Entsetzen schaut sie dem Kristallschlüssel nach. Er ist ihr einfach so aus den Händen gefallen. Die Hexe verstummt. Nebelschwaden lösen sich aus der Silberwolke. Ein Tornado entsteht, wird immer kleiner. Die Berghöhle wird von einem ungeheuer lauten Knall erschüttert. Plötzlich steht eine winzige Figur aus Silber vor SternLichts Hufen.
Bodo und seine Männer kommen angelaufen. Noch wagt niemand, etwas zu sagen. Doch als Peter die Figur vom Boden nimmt, bricht Jubel aus: "Danke, SternLicht! Du hast Sasu, die schreckliche Hexe, besiegt!", rufen die Zwerge ein ums andere Mal. Alle möchten sich die kleine Figur in Gestalt der Hexe anschauen. Berühren will sie niemand.
"He, Leute! Was ist mit dem Ungeheuer im See und den eingeschlossenen Zwergen in den Glaskammern!?", krächzt Miserie.
Daran hat im Moment der Freude keiner gedacht. Keiner?
Mondlicht lächelt SternLicht zu und sagt: "Auch dafür gibt es eine Lösung. Wartet nur ab!"
Ein wenig besorgt schauen die Zwerge zum Höhleneingang. Von dort ist Hufgeklapper zu hören. In wildem Galopp stürmt ein Pferd in die Halle. Wunderschön sieht es aus. Schneeweiß mit schwarzer Mähne und weitaus größer als Mondlicht und SternLicht.
Liebevoll begrüßt es die beiden Pferdchen, verneigt sich vor König Peter. Den erstaunten Zwergen schenkt es ein fröhliches Lächeln.
"Unser Bruder Sonnenlicht! Ich habe ihm einen Gedankenbrief geschickt. Sonnenlicht verfügt über eine sehr besondere Gabe. Ihr werdet sehen!"
Sonnenlicht stellt sich ans Seeufer. Seine Augen sind starr auf das Wasser gerichtet. Unzählige funkelnde Leuchtfeuer brechen aus ihnen hervor, bündeln sich zu Arm dicken Strahlen. Die Strahlenbündel dringen ins Wasser und lassen es in wenigen Minuten verdampfen. Der See ist leer. Bis auf die Glaskammern ganz und gar leer! "Die Krake! Perik ist verschwunden! Wie ist das möglich?", fragt das kleine Volk.
SternLicht erinnert an das Silberfigürchen. Sasu und Perik waren ein und dieselbe Person.
Erleichtert nimmt Bodo den Kristallschlüssel auf. Seine Angst ist verflogen. Mondlicht fliegt mit ihm zum Grund des Sees. Leicht dreht sich der Schlüssel in den Schlössern aus Glas.
Sirra und die Zwergfrauen haben es zu Hause nicht mehr ausgehalten. So stehen auch sie am Ufer und begrüßen voller Freude die lang vermissten Brüder Bodos.
Am Abend feiert das befreite Völkchen ein großartiges Fest. Die Frauen haben ihre heimlichen Vorräte aufgetischt. Es gibt genug zu essen und zu trinken. Grillen sorgen für Musik. Und spät in der Nacht versammeln sich alle um SternLicht, Peter, Sirra, Mondlicht und Sonnenlicht. Miserie hat seinen Kopf schon unter die Flügel gesteckt, tut so, als schlafe er. Doch er hört genau so gern zu wie Bredda, das Zwergenkind.
Denn das schöne Pferdchen erzählt Geschichten. Abenteuergeschichten! Von einem Zauberpferd namens SternLicht!