Nach dem Wettschießen verging viel Zeit. Robin blieb von nun an immer in der Nähe des Sherwood-Forest. König Heinrich starb und König Richard bestieg den Thron. Im Sherwood-Forest aber veränderte sich nicht viel. Robin und seine Männer jagten, sangen und tafelten so vergnügt wie eh und je.
An einem schönen Sommermorgen sagte Robin zu Little John: "Mich jucken die Beine. Wollen wir nach einem Abenteuer ausgehen?" Little John antwortete: "Ich bin immer dabei. Wir haben hier zwei Wege. Du nimmst den einen und ich den anderen. Mal sehen, was uns Lustiges passiert." "Das ist ein guter Plan.", lobte Robin. "Auf, denn und gib auf dich Acht!" Little John winkte noch einmal und die beiden trennten sich. Robin schritt munter durch den Wald, direkt auf das gefährlichste Abenteuer zu, dass er jemals zu bestehen hatte.
Er war noch nicht lange gegangen als er einen seltsamen Mann bemerkte, der auf einer moosbewachsenen Wurzel einer riesigen Eiche saß. Dieser Mann war von Kopf bis Fuß in Pferdefell gekleidet, selbst auf dem Kopf trug er eine Kapuze aus Pferdefell. Da der Mann Robin nicht bemerkt hatte, konnte dieser ihn ausgiebig betrachten. Der Mann war mit einem Schwert bewaffnet, außerdem hatte er einen scharfen, zweischneidigen Dolch und einen Köcher voller Pfeile. Ein Bogen aus Eibenholz lehnte neben ihm.
Robin war neugierig und trat auf den Mann zu. "He, Freund.", rief er ihn an. "Wer bist du? Was trägst du nur für eine sonderbare Kleidung?" Der Mann sah auf und Robin blickte in zwei wilde, stechende Augen. Der grausame Mund unter der Hakennase und das böse Glitzern in den kalten Augen ließen Robin an einen Falken denken. "Was willst du von mir?", fragte der Fremde drohend. "Wer bist du? Verschwinde!" Robin sah den Fremden an und blieb. Die beiden starrten sich lange Zeit an ohne ein Wort zu sagen. "Wer bist du?", fragte der Fremde schließlich noch einmal. "Oh,", antwortet Robin. "Ich dachte schon, es hätte dir bei meinem Anblick die Sprache verschlagen. Nenn' du zuerst deinen Namen, denn du bist hier fremd. Und verrate mir doch bitte, wozu du diese ausgefallene Kleidung trägst."
Der Mann in der Pferdekleidung lachte rau. "Meine Güte, bist du frech. Noch nie hat jemand es gewagt, so mit mir zu sprechen. Vor zwei Tagen erst hab' ich einen aufgespießt, der nur halb so frech war wie du. Aber gut, das Fell schützt so gut wie ein Kettenhemd und es hält mich warm und trocken. Mein Name ist Guy von Gisbourne. Ich bin vogelfrei. Ich komme aus den Wäldern von Hereforshire aber der Sheriff von Nottingham hat mich gebeten, hier einen gewissen Robin Hood zu erschlagen, Dann gewährt er mir Pardon und ich bekomme zweihundert Pfund. Für die Hälfte würde ich meinen Bruder kalt machen." Er lachte wieder rau. "Sie haben hier wohl keinen gefunden, der diesen Robin umbringen kann."
Robin mustere Guy von Gisbourne und sagte dann: "Ich habe von dir gehört. Ich glaube auch, dass Robin Hood dich nicht treffen will." "Das Glaube ich gerne.", grinste Guy von Gisbourne. "Es ist schon lustige. Zwei Geächtete treffen aufeinander. Ein Geächteter stirbt. Armer Robin." "Wieso bist du so sicher, dass Robin sterben wird? Ich kenne ihn recht gut und viele halten ihn für den tapfersten und stärksten Mann hier in der Gegend." "Er ist ein Feigling.", bellte Guy von Gisbourne. "Er hat nur einmal fremdes Blut vergossen. Auch wenn er ein guter Bogenschütze sein soll, hat er nie mehr jemanden getötet. Ich würde jederzeit gegen ihn antreten."
"Wir können hier alle gut mit dem Langbogen umgehen.", warf Robin ein. "Ich würde auch jederzeit gegen dich antreten." Herausfordernd sah er Guy von Gisbourne an. Der lachte wieder. "Du bist wirklich bemerkenswert frech. Aber mir gefällt dein Mut. Also schön, lass uns um die Wette schießen."
Robin brach einen Zweig von einem Haselstrauch und entfernte die Rinde. Den Zweig steckte er in den Boden und ging achtzehn Schritt zu dem Platz, an dem der Fremde saß. "Komm, wir versuchen den Ast zu spalten.", forderte er Guy von Gisbourne auf. "Das kann nur der Teufel.", fluchte der, spannte seinen Bogen und schoss zweimal daneben. "Du wirst es auch nicht können.", höhnte er. Robin lächelte nur und sagte: "Wenn du mit dem Schwert nicht besser umzugehen weißt, dann wird Robin Hood vielleicht nicht sterben." Dann spannte er seinen Bogen und schoss ebenfalls zweimal. Das erste Mal verfehlte der Pfeil sein Ziel um einen Zoll, der zweite Pfeil spaltete den Ast.
"Da kann man sehen, wie wenig du vom Bogenschießen verstehst.", schrie Robin und sprang auf. "Und jetzt kämpfe um dein Leben. Ich bin Robin Hood." Guy von Gisbourne sprang ebenfalls auf und griff nach seinem Schwert. Es entbrannte ein schrecklicher Kampf, der lange Zeit hin und her wogte. Schließlich aber gelang es Robin mit letzter Kraft, Guy von Gisbourne mit seinem Schwert tödlich zu verletzen. Als er tot im Gras lag, säuberte Robin sein Schwert und sah auf den Toten nieder. "Nun habe ich zum zweiten Male einen Menschen getötet.", seufzte er traurig.
Er barg den Toten und legte dessen Kleidung an. Er machte sich auf zum Sheriff von Nottingham, der ihm Guy von Gisbourne geschickt hatte. Die Kapuze zog er tief ins Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Auf seinem Weg zum Sheriff liefen die Menschen davon, wenn sie Gisbournes Kleidung erkannten, denn alle wussten, wie grausam er war. Zunächst aber wollen wir sehen, was Little John erlebte.
Little John hatte auf seinem Weg das Weinen einer Frau gehört. Die Frau saß in ihrer kleinen Kate und als Little John eintrat und sie tröstete, erzählte sie ihm alles. Ihr ältester Sohn hatte in der Nacht eine Hirschkuh geschossen, weil die Not im Haus so groß war. Die Wildhüter hatten die Blutspur verfolgt und nun alle drei Söhne mitgenommen, da die jüngeren den älteren nicht verraten wollten, obwohl der Älteste zugab, die Hirschkuh geschossen zu haben. Weinend berichtete die Frau, dass sie gehört hatte, wie der Sheriff sagte, er wolle dem Wildfrevel ein für alle Mal ein Ende setzen. Der erste, der erwischte würde, müsse aufgehängt werden. Die drei Burschen waren zum "King's Head" gebrachte worden. Dort wartete der Sheriff auf die Rückkehr eines Mannes, den er zu Robin Hood geschickt hatte.
Little John schüttelte den Kopf. "Das ist ja eine böse Geschichte. Aber was für einen Mann hat der Sheriff zu Robin Hood geschickt? Warum ist nur Robin jetzt nicht hier, um mir zu raten? Pass auf, Weib. Hast du andere Kleider für mich? Wenn der Sheriff mich in der grünen Tracht sieht, dann knüpft er mich eher auf als deine Jungs." Die Bäuerin gab Little John andere Sachen, er machte sich eine Perücke und einen Bart aus aufgerauter Wolle und setzte dazu noch einen großen Hut auf. So verkleidet machte er sich eilends auf nach "King's Head".
In dem gemütlichen Gasthof "King's Head" herrschte ein reges Treiben. Der Sheriff hatte mit ungefähr zwanzig Männern hier Quartier bezogen. Die Knappen schwatzten und lachten, die Pferde wieherten und stampften. Der Sheriff saß in der Gaststube beim Essen. Dorthin brachte man die drei Söhne der alten Frau. Als man sie dem Sheriff vorführte, rief er: "Sie müssen hängen, damit endlich klar ist, dass Diebesgesindel hier keinen Platz hat. Bringt sie aber erst einmal hinaus. Ich will in Ruhe essen. Außerdem können wir sie nicht hier hängen. Das würde dem Gasthaus vielleicht Unglück bringen. Wir werden ein Stück in den Wald hinein reiten. Ich komme gleich."
Der Sheriff beendete sein Mahl und trat dann vor das Gasthaus. Die drei Söhne fielen auf die Knie und flehten um Gnade, aber der Sheriff zeigte unerbittlich auf eine Lichtung und bestieg sein Pferd. Als alle auf der Lichtung angekommen waren, Legten sie den jungen Männern einen Strick um den Hals und warfen das andere Ende über einen dicken Ast. "Ein Priester, der euch die Beichte abnimmt, wäre nicht schlecht. Aber da es hier niemanden gibt, müsst ihr eben mit euren Sünden ins Paradies hinein.", lachte der Sheriff schadenfroh.
Da kam ein alter weißhaariger Mann des Weges. "He, du!", rief der Sheriff. "Wie heißt du? Irgendwie kommst du mir bekannt vor." Der alte Mann näherte sich langsam. Der Langbogen auf seinem Rücken war sicherlich zu schwer für ihn. Mit brüchiger Stimme sagte Little John - denn niemand anderes als Little John war der Alte - "Mein Name ist Giles Hobble. Stets zu Diensten" "Giles Hobble, Giles Hobble.", murmelte der Sheriff. "Nein, den Namen kenne ich nicht. Sei's drum. Willst du dir sechs Pennys verdienen und die drei dort drüben aufhängen? Ich möchte nicht, dass meine Knappen diese Arbeit tun."
"Das ist leicht verdientes Geld.", sagte Little John. "Haben diese Burschen denn schon gebeichtet?" Der Sheriff lachte. "Nimm du ihnen die Beichte ab, wenn du möchtest. Aber beeil dich, ich möchte zum Gasthof zurück." Little John nickte und ging zu dem ersten der Brüder. Er legte seine Wange an dessen Gesicht, als lausche er den Sünden, aber dabei flüsterte er: "Ich schneide dir jetzt die Fesseln durch. Rühre dich nicht von der Stelle. Wenn du aber siehst, dass ich Bart und Perücke abwerfe, dann lauf so schnell du kannst in den Wald hinein." Damit schnitt er die dicke Schnur durch, mit denen er an den Händen gefesselt war und tat das Gleiche bei den anderen beiden. Der Sheriff, der auf seinem Pferd saß und lachte und scherzte, bemerkte nichts.
Nun trat Little John an den Sheriff heran. "Darf ich meinen Bogen spannen, Euer Gnaden? Wenn die drei schon hängen sollen, möchte ich ihnen mit einem Pfeil zwischen die Rippen auf den Weg helfen." "Nur zu.", antwortete der Sheriff. "Aber beeile dich endlich." Little John spannte seinen Bogen und sah sich um. Dann riss er blitzschnell Perücke und Bart herunter. Die drei Burschen zogen die Köpfe aus den Schlingen und rannten in den Wald. Little Jahn rannte hinter ihnen her. Der Sheriff schaute verblüfft auf das Geschehen, fasste sich dann aber rasch. "Ihnen nach!", brüllte er und wusste nun auch, woher ihm Giles Hobble so bekannt vorgekommen war.
Little John hörte den Sheriff schreien und blieb stehen. Er wusste, dass er den Wald nicht vor seinen Verfolgern erreichen konnte. Deshalb drehte er sich um und rief: "Der erste, der versucht, einen Pfeil abzuschießen, ist des Todes." Die Männer des Sheriffs wussten, dass Little John ein außergewöhnlich guter Schütze war und blieben sofort stehen. Der Sheriff, der nicht ertragen konnte, dass Little John davon kommen könnte, gab seinem Pferd die Sporen. Little John spannte seinen Bogen, der ihm immer gute Dienste geleistet hatte. Aber was geschah? Der Bogen zerbrach in Little Johns Händen und der Pfeil fiel zu Boden. Nun kam auch Bewegung in die Männer des Sheriffs, die sich auf Little John stürzten. Der Sheriff erreichte ihn als Erster und holte mit seinem Schwert zu einem mächtigen Schlag aus. Er traf Little John mit der Breitseite, so dass dieser bewusstlos zu Boden sank.
Little John war nicht tot. Der Sheriff schüttet ihm einen Eimer Wasser über den Kopf und ließ ihn festbinden. Dann ging er zurück in die Gaststube. Er freute sich sehr, dass es ihm endlich gelungen, war einen von Robins Männern festsetzen zu können. "Morgen hängen wir den Verbrecher. Und zwar vor dem großen Tor von Nottingham.", sagte der Sheriff zu seinen Gefolgsmännern. Dann überlegte er noch einen Moment und sagte: "Vielleicht sollten wir auch nicht bis morgen warten. Sonst entschlüpft uns der Schurke noch. Das wäre schlimm. Und wer weiß, ob Guy von Gisbourne Robin Hood wirklich besiegen konnte. Robin ist der allerschlimmste von allen. Nein, wir werden mit dem Hängen nicht warten. Wir hängen ihn auf der Stelle und zwar genau dort, wo er die drei Wilddiebe befreit hat."
Sie zerrten Little John auf die kleine Lichtung, um ihn zu hängen. Da rief ein Knappe: "Sheriff, seht. Da kommt Guy von Gisbourne, den ihr los schicktet, um Robin Hood zu töten." Der Sheriff sah sich um und erblickte einen Mann in Pferdefell gehüllt. "Guy von Gisbourne!", rief er. "So ist es Euch gelungen? Was ist passiert? Euer Gewand ist voller Blut!" "Seht einfach nicht hin, wenn es Euch nicht passt!", antwortete Robin so unfreundlich, wie es Guy von Gisbourne wohl getan hätte. "Sieh her, ich habe Robins Jagdhorn, seinen Bogen und sein Schwert. Glaubst du, diese Dinge hätte Robin mir freiwillig gegeben? Und das Blut auf meinem Gewand ist das Blut des gemeinsten Verbrechers, der sich je im Sherwood-Forest aufgehalten hat."
Little John hörte Robin reden, ohne ihn zu erkennen. Er hob den Kopf und rief: "Guy von Gisbourne. Wer hätte nicht von deinen Schandtaten gehört. Du bist das richtige Werkzeug für den feigen Sheriff von Nottingham gewesen. Nun ist es mir gleich, ob ich sterbe. Das Leben bedeutet nichts mehr für mich!" Die Tränen strömten über Little Johns Gesicht und der Sheriff frohlockte. Was für ein Tag. Robin Hood tot und seine rechte Hand kurz davor ins Jenseits befördert zu werden, wie herrlich!
"Du kannst von mir verlangen, was du willst.", sagte der Sheriff zu dem vermeintlichen Guy von Gisbourne. Der Mann im Pferdefell überlegte nicht lange. "Nun, so will ich den Knecht des Mannes, den ich heute tötete, um auch ihn zu töten. Gib mir diesen Mann!" Der Sheriff lachte. "Was bist du doch für ein blutgieriger Narr. Ich hätte dir alles gegeben. Gold, Geld, Edelsteine. Und was du willst ist das Lebens dieses Mannes. Aber ich halte mein Versprechen. Der Mann gehört dir."
"Da danke ich für das Geschenk.", rief Robin. "Ich zeige euch nun, wie man bei uns zu Hause ein Schwein schlachtet." Und obwohl die Gefolgsmänner des Sheriffs raue Gesellen waren, wollten sie einem so blutigen Schauspiel eher nicht ansehen. Sie lehnten Little John gegen einen Baum und Robin zog Guy von Gisbournes scharfen zweischneidigen Dolch. "Zurück!", rief er und die Knappen wichen zurück. "Ja, stoß' ihn mir ins Herz. Ich bin froh, wenn die Hand, die meinen teuren Herren getötet hat auch mich abschlachtet.", rief Little John. "Still!", wisperte Robin. "Hast du mich immer noch nicht erkannt? Vor dir liegen mein Schwert, mein Bogen und die Pfeile. Wenn ich dir die Fesseln durchschneide, nimm sie!"
Little John nickte verwirrt und Robin schob die Kapuze aus Pferdefell aus dem Gesicht. Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er Little Johns Fesseln. Beide griffen nach den Bögen und Robin blies in sein Jagdhorn. Dann rief er: "Der Erste, der es wagt, sich zu bewegen, ist des Todes." Der Sheriff erkannte nun Robin Hood, schrie erschreckt auf, wendete sein Pferd und verschwand. Als die Gefolgsmänner das sahen, liefen auch sie davon. Little John schickte dem feigen Sheriff einen Pfeil hinterher, der in dessen Hinterteil landete. Einen Monat lang konnte der Sheriff nur auf dem allerweichesten Kissen sitzen. Als Will Stutley und die anderen auf der Lichtung ankamen, hatten Robin und Little John schon alle in die Flucht geschlagen.
Die drei Brüder aber, die Little John vor dem Galgen bewahrt hatte, kamen noch am selben Abend zur großen Eiche, um sich Robin Hood und seiner Schar anzuschließen.