Die ganze Nacht über hatten wir noch sehr viel zu tun, und als kurz vor dem Morgengrauen der Bootsmann pfiff, war ich hundemüde. Aber ich hätte das Deck auch nicht verlassen, wenn ich doppelt so müde gewesen wäre. Alles war so neu und interessant für mich: die kurzen Kommandos, der schrille Ton der Pfeife und die Männer, die im Schein der Schiffslaternen auf ihre Plätze eilten.
John Silver stimmte ein Lied an - die mir so gut bekannte Melodie: "Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste", und die ganze Mannschaft stimmte im Chor ein: "Jo-ho, jo-ho, und ' ne Buddel voll Rum!" Dabei legten sie sich gegen die Spaken und schoben sie mit aller Kraft vor sich her.
Ich dachte noch einmal zurück an den ' Admiral Benbow' und an den alten Kapitän, aber nun hatte unsere Reise zur Schatzinsel begonnen.
Die Fahrt verlief alles in allem glücklich. Allerdings zeigte sich Mr. Arrow noch schlimmer, als der Kapitän befürchtet hatte. Er war sehr oft betrunken, aber wir konnten nicht feststellen, woher er den Rum hatte. Er war ein unbrauchbarer Offizier und übte einen schlechten Einfluss auf die Matrosen aus. Niemand war überrascht oder traurig darüber, als er in einer stürmischen Nacht verschwand und nie mehr gesehen wurde.
Der Bootsmann, Job Anderson, wurde sein Nachfolger als Maat, führte aber weiter den Namen Bootsmann. Baron Trelawney war oft zur See gefahren, seine Kenntnisse waren jetzt sehr von Nutzen. Bei gutem Wetter übernahm er oft die Wache. Auch der Schiffszimmermann, Israel Hands, war ein vorsichtiger, kluger, erfahrener Seemann, der im Notfall jede Aufgabe übernehmen konnte. Er war sehr vertraut mit dem langen John Silver.
Silver, unser Smutje, bewegte sich geschickt bei jedem Wetter mit seinem einen Bein auf dem Schiff. Der Schiffszimmermann erzählte mir, dass er kein gewöhnlicher Mann wäre, sondern früher eine gute Schule besucht hätte. Und er sei tapfer! Ein Löwe sei nichts im Vergleich zu ihm! Die ganze Mannschaft hatte Respekt vor ihm und gehorchte ihm aufs Wort. Zu mir war er stets freundlich und freute sich immer, mich in der Kombüse zu sehen, die er blitzsauber hielt. In einer Ecke stand in einem Käfig sein Papagei. Er erzählte mir: "Das ist Käpt'n Flint. Ich habe ihn nach dem berühmten Seeräuber benannt. Er soll uns den Erfolg unserer Reise vorhersagen."
Und der Papagei sagte mit großer Geschwindigkeit: "Goldstücke! Goldstücke! Goldstücke!"
Der lange John erzählte mir, dass der Papagei ungefähr zweihundert Jahre alt ist und viel erlebt hat. "Wenn jemand mehr Schlechtigkeit gesehen hat als er, dann muss es der Teufel persönlich sein. Er segelte schon mit dem großen Käpt'n England, dem Piraten, über die Meere." "Klar zum Wenden!", schrie der Papagei, und Silver gab ihm ein Stück Zucker. Manchmal fluchte der Papagei aber auch so schrecklich, dass man es kaum glauben konnte.
Der Baron und Kapitän Smollett mochten sich noch immer nicht, obwohl der Kapitän sagte, dass er sich in der Mannschaft wahrscheinlich getäuscht habe und in das Schiff hatte er sich geradezu verliebt. Oft sagte er aber auch: "Wir sind noch nicht wieder zu Hause, und mir gefällt diese Fahrt nicht."
Die Mannschaft wurde auf der Fahrt verwöhnt. Manchmal gab es doppelte Grogrationen und wenn einer der Männer Geburtstag feierte, hatten wir Pudding. Ständig stand im Mittelschiff ein Fass mit Äpfeln, aus dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen konnte.
Dieses Apfelfass half uns, denn ohne es hätten wir keine Warnung erhalten und alle durch schnöden Verrat unser Ende gefunden. Folgendes geschah:
Wir segelten voll freudiger Erwartung Tag und Nacht auf unsere Insel zu. Nach den Berechnungen musste es der letzte Tag der Seereise sein.
Es war gerade nach Sonnenuntergang. Ich hatte alle meine Arbeiten getan und befand mich auf dem Weg zu meiner Koje, als ich Appetit auf einen Apfel bekam. Ich musste ganz in das Fass hinein klettern, denn kaum ein Apfel war übrig geblieben. Wie es geschah, weiß ich nicht, vielleicht durch das Plätschern der Wellen oder die schaukelnden Bewegungen des Schiffes, auf jeden Fall musste ich eingeschlafen sein. Ich wurde wach, als sich ein schwerer Mann geräuschvoll in der Nähe niedersetzte. Ich wollte gerade aus dem Fass springen, als er zu reden begann. Es war die Stimme von John Silver, und noch bevor ich ein Dutzend Worte verstanden hatte, hätte ich mich um nichts in der Welt mehr zeigen mögen. Ich blieb zitternd vor Furcht liegen und lauschte, denn schon die wenigen Worte ließen mich erkennen, dass das Leben aller anständigen Männer an Bord nun von mir allein abhing.