Kaum war der enterbte Ritter in sein Zelt getreten, folgte ihm ein ganzer Schwarm von Knappen, die ihm beim Ablegen seiner Rüstung helfen wollten. Alle waren neugierig, wer der geheimnisvolle Ritter war. Der lehnte aber jede Hilfe ab und nur sein eigener Knappe durfte bleiben.
Kurze Zeit später erschienen fünf Männer, jeder mit einem Schlachtross mit Rüstungen beladen. Der enterbte Ritter hatte sich einen weiten Umhang mit weiter Kapuze angezogen und trat ihnen entgegen. Wie es Gesetz war, sollte er als Sieger des Turniers, Ross und Rüstung seiner Gegner erhalten oder eine Auslöse dafür verlangen.
Die Knappen boten ihm je einhundert Zechinen als Lösegeld.
"Das ist zu viel. In meiner momentanen Lage bin ich gezwungen die Hälfte anzunehmen. Den Rest verteilt unter Euch und den Herolden.
Mit einer tiefen Verbeugung dankten die Pagen und wollten schon gehen, da rief der enterbte Ritter den Knappen von Brian de Bois-Guilbert zu sich.
"Von Eurem Herrn nehme ich weder Waffen noch Geld. Unser Kampf ist noch nicht beendet. Richtet ihm das aus."
Als sie wieder alleine waren, sagte der Ritter: "Es scheint, Gurth, die Ehre der Angelsachsen ist heute vermehrt worden."
"Und ich habe für einen sächsischen Schweinehirten meine Rolle eines normannischen Schildknappen nicht übel gespielt. Ich hoffe nur, dass Cedric mich nicht entdeckt."
"Ich habe dir versprochen, dich für jede Gefahr zu belohnen. Nimm diese zehn Goldstücke und diesen Beutel und bringe ihn zu Isaak von York. Er soll bekommen, was ihm für das Leihen von Pferd und Rüstung zusteht."
Gurth nahm den Beutel und murmelte: "Im Beutel ist viel zu viel. Ich werde den Juden schon herunterhandeln."
In der Nähe von Ashby hatten sich der Jude Isaak und seine Tochter Rebekka im Landhaus eines reichen Israeliten einquartiert. Isaak ging nervös im Zimmer auf und ab und zeterte über das verlorene Geld, das er in den enterbten Ritter gesteckt hatte.
"Aber Vater, diesem Ritter verdankt Ihr doch Euer Leben. Ist es Euch nicht fünfzig Zechinen wert?", fragte die Tochter.
"Das wertvolle Pferd und die prächtige Rüstung, verschlingen den Gewinn einer ganzen Woche."
Während Isaak rastlos im Zimmer umherging, meldete ein Diener einen Nazarener, wie die Juden unter sich die Christen nannten.
"Verschleiere dich Rebekka!", rief Isaak und ließ den Fremden eintreten.
Die Tür öffnete sich und Gurth betrat den Raum. "Bist du der Jude Isaak von York?"
"Der bin ich. Was wollt Ihr?"
"Euch Geld bringen."
"Heiliger Vater Abraham. Du willst mir Geld bringen? Von wem?"
"Vom enterbten Ritter."
"Sagte ich nicht, er ist ein guter Junge", rief Isaak voller Freude und lud Gurth zu einem Becher Wein ein.
Der Schweinehirte leerte ihn in einem Zug und Isaak begann mit den Verhandlungen. Zu Gurths Erstaunen, forderte der Jude gerade mal achtzig Zechinen.
"Mein Herr wird dann ohne etwas dastehen, aber wenn du es forderst, so werde ich es bezahlen", flunkerte Gurth und legte das Geld auf den Tisch.
Der Jude nahm die ersten siebzig Zechinen zitternd vor Freude weg. Er hatte überlegt, dem Überbringer ein paar Münzen zu überlassen, aber seine Habgier war größer und so füllte er auch die restlichen zehn Zechinen in den Beutel.
Rebekka hatte bereits zu Beginn der Verhandlungen das Zimmer verlassen. Ihr Vater schenkte Gurth noch einen Becher Wein ein und verabschiedete sich dann von ihm.
Gurth stieg die Treppe hinab, als ihn die Tochter des Juden plötzlich zu sich winkte. Er erkannte in ihr die schöne Jüdin, die ihm bereits beim Turnier aufgefallen war.
"Mein Vater hat nur gescherzt, guter Mann. Er verdankt Eurem Herrn viel mehr, als Pferd und Rüstung wert sind. Wie viel habt Ihr ihm bezahlt?"
"Achtzig Zechinen", antwortete Gurth, erstaunt über die Frage.
"In diesem Beutel werdet Ihr hundert finden. Gebt Eurem Herrn zurück, was ihm gehört, den Rest behaltet für Euch. Und nun geht schnell und passt gut auf. In der Stadt könnt Ihr leicht Leben und Geld verlieren."
Rebekkas Diener Ruben leuchtete Gurth mit einer Fackel den Weg hinaus.
"Bei allen Heiligen", murmelte Gurth, "das ist keine Jüdin, das ist ein Engel. Zehn Zechinen von meinem guten Herrn und zwanzig von dieser Perle. Was für ein glücklicher Tag!"
Er machte sich auf den Nachhauseweg. Die überfüllten Häuser und engen Gassen verursachten bei ihm ein mulmiges Gefühl. Die Jüdin hatte Recht und er wünschte sich mit seinem Gold schon am Ziel. Er beschleunigte seine Schritte. Als er fast am Ende eines Hohlweges war, sprangen vier Männer aus dem Gebüsch.
"Gib her, was du hast", rief einer der Männer. Guth wehrte sich und so packten sie ihn und brachten ihn durchs Dickicht bis zu einer Lichtung. Dort kamen zwei weitere Männer hinzu.
"Wie viel Geld hast du?", fragte einer der Räuber.
"Dreißig Zechinen sind alles, was ich besitze", antwortete Gurth.
"Der Beutel unter deinem Mantel scheint mir aber viel voller zu sein!"
"Das gehört meinem Herrn, Dem enterbten Ritter, der heute das Turnier gewonnen hat."
Nun gab Gurth bereitwillig Auskunft über das Lösegeld der Unterlegenen und wie er dem Juden achtzig Zechinen bezahlt und dafür hundert zurückbekommen hatte.
"Du tischst uns eine solche Lüge auf? Ein Jude gibt ebenso wenig Geld zurück, wie der trockene Wüstensand einen Becher Wasser, den man verschüttet hat."
"Es ist, wie ich es sage", beharrte Gurth.
Einer der Männer entriss ihm seine Beutel und tatsächlich fanden sie alles so vor, wie es der Schweinehirte beschrieben hatte. Der Hauptmann beschloss, dass er das Geld des enterbten Ritters nicht nehmen wolle. Er sei einer von ihnen - arm, enterbt und gegen die Normannen. Und wenn Gurth seinen Anteil ebenfalls behalten wolle, so müsse er gegen einen von ihnen mit dem Knüppel kämpfen.
Ein grobschlächtiger Kerl trat hervor, den alle den Müller nannten. Das Mondlicht leuchtete die Mitte der Lichtung aus und die Kontrahenten gingen ohne viel Umschweife aufeinander los. Als der Müller merkte, dass Gurth ihm ebenbürtig war, verlor er die Fassung.
Doch der Schweinehirte blieb ruhig und überlegt. In einem glücklichen Moment traf er den Müller mit voller Wucht am Schädel, sodass der zu Boden ging.
"Ein ehrlicher Kampf, Sachse. Du hast deine Haut und dein Geld gerettet. Nun kannst du weiter ziehen. Aber höre, forsche nicht nach wer oder was wir sind; sonst wird es dir schlecht ergehen", sagte der Hauptmann.
Gurth dankte und gab sein Versprechen. Dann machte er sich auf den Weg zum Zelt seines Herrn. Dort erzählte er alles und der enterbte Ritter staunte nicht schlecht über Rebekkas Geschenk.
Schließlich gingen sie schlafen und Gurth legte sich mit seinem Bärenfell quer vor den Eingang um seinen Herrn zu beschützen.