Kleidung ist Kommunikation. Die funktioniert aber nicht in allen Ländern gleich. Ein Minirock kann zum Beispiel in einem bulgarischen Büro weiblich wirken, in Deutschland aber fehl am Platz sein.
Als Tzvetelina Kreuzer 1997 aus Bulgarien nach Deutschland kam, war sie stark geschminkt und trug Miniröcke. Schnell merkte die Osteuropawissenschaftlerin aber, dass ihr Outfit in Deutschland anders ankam, als sie es aus ihrer Heimat gewohnt war: An der Universität und im Job hatte sie das Gefühl, aufzufallen und nicht ernst genommen zu werden.
Auch Modeberaterin Nadine Thomas vom Modeinstitut Berlin gibt offen zu, Menschen nach ihrer Kleidung zu beurteilen. Sie sagt: „Je nachdem, welche Kleidung Sie tragen, gehen die Leute unterschiedlich mit Ihnen um.“ Sie findet deshalb, dass es vor allem am Arbeitsplatz wichtig ist, die richtige Kleidung zu wählen. Sie erklärt: „In Deutschland herrscht bei der Arbeit der klassische Stil vor. Schulterfrei ist tabu, und Röcke sollen mindestens knielang sein.“
Für Tzvetelina Kreuzer ist dies eine Folge der westlichen Emanzipation. „Die Frauen in Deutschland denken oft, sie müssen sich wie Männer kleiden und sich ihnen auch im Handeln und Denken anpassen“, sagt sie. Sie hat das Gefühl, dass man sich in anderen Ländern, wie in Lateinamerika oder Osteuropa, nicht für sein Geschlecht schämen muss. Die Betonung von Weiblichkeit ist dort ganz normal – auch im Berufsleben.
In Deutschland blieb Kreuzer nichts anderes übrig, als sich unauffälliger zu kleiden und weniger zu schminken. Als sie zu Besuch nach Bulgarien kam, war ihre Mutter entsetzt: „Du siehst aus wie eine graue Maus!“, sagte sie. Mit ihrem deutschen Outfit mit Jeans, T-Shirt und Turnschuhen passte Kreuzer nicht mehr ins bulgarische Frauenbild.
Glossar
Kleider machen Leute – nach einer Novelle von Gottfried Keller aus dem Jahr 1874; bedeutet: durch Kleidung kann man die Meinung anderer Menschen beeinflussen
Minirock, Miniröcke (m.) – ein kurzer Rock, der nicht bis zum Knie reicht
fehl am Platz sein – nicht dazu gehören; falsch sein
Outfit, -s (n.) – aus dem Englischen: die Kleidung
an|kommen – hier: aufgenommen werden; gesehen werden
etwas gewohnt sein – hier: etwas normal und alltäglich finden
jemanden ernst nehmen – jemanden als Menschen akzeptieren und respektieren
jemanden/etwas beurteilen – sich eine Meinung über jemanden/etwas bilden
je nachdem – abhängig von der Situation
mit jemandem/etwas um|gehen – sich in einer bestimmten Weise verhalten
vor|herrschen – am häufigsten vorkommen
schulterfrei – so, dass die Schulter nicht von Kleidung bedeckt ist
tabu – hier: ungeeignet; sehr schlecht angesehen
knielang – so, dass ein Kleidungsstück (z. B. ein Rock) bis zu den Knien reicht
Emanzipation (f.) – hier: die Befreiung der Frau aus der Abhängigkeit vom Mann
sich an etwas/jemanden an|passen – sich so verändern, dass man zu einer Situation passt
sich für etwas schämen – etwas peinlich finden
Lateinamerika – Mittel- und Südamerika
jemandem bleibt nichts anderes übrig – jemand hat keine andere Wahl, etwas zu tun
entsetzt sein – sehr erschrocken sein; schockiert sein
graue Maus (f.) – negative Bezeichnung für eine Frau, die schlicht und unauffällig gekleidet ist