»Es war also ein Irrtum …«, hielt ich fest, aber ich kam gar nicht
zum Schluss, weil sie sofort aufsprang und brüllte: »Nein! Es war keen
Irrtum. Es waren Juden! Sie ham se völlig legal vergast! Schon weil se
keenen Stern jetragen haben. Sie sind unterjetaucht und ham den
Stern abjelegt, weil se jehofft haben, det man se nich als Juden
erkennt. Aber leider hat eener der Polizei eenen Tipp jejeben! Det
waren also nich nur Juden, det waren sogar illegale Juden! Sind Sie
jetzt beruhigt?«
Ich war es in der Tat. Das war ja nun wahrhaft erstaunlich, ich hätte
diese Leute womöglich selbst nicht einmal verhaftet, so deutsch sahen
die aus, ich war so verblüfft, ich dachte zuerst sogar, ich sollte
Himmler bei Gelegenheit nochmals meine Anerkennung für seine
gründliche, unbestechliche Arbeit ausdrücken. Allerdings schien es mir
gerade in diesem Momente einmal nicht ratsam, direkt und
wahrheitsgetreu zu antworten.
»Entschuldijung«, sagte sie dann plötzlich in die Stille. »Sie können
ja nüscht dafür. Et is ooch ejal. Ick kann meener Oma det nich antun,
det ich weiter für Sie arbeete. Die jeht daran kaputt. Et is nur – können
Se nich eenfach mal sagen: ›Et tut mir leid mit der Familie von Ihrer
Oma, det war ein grauenhafter Irrsinn damals‹? So wie det jeder
normale Mensch ooch tun würde? Oder det Se dran arbeeten, det den
Leuten endlich aufjeht, wat det damals für Schweine jewesen sind. Det
Se mit mir, det wir alle hier mit dran arbeeten, det sowat nie wieder
passiert.« Und dann fügte sie beinahe flehend hinzu: »Det isset doch,
wat wa hier machen, oder? Sagen Se doch eenfach det! Für mich.«
Olympia 1936 kam mir in den Sinn. Vielleicht nicht ganz zufällig,
denn die blonde Frau auf dem Foto erinnerte mich ausgesprochen an
die Fechtjüdin Helene Mayer. Man hat Olympische Spiele im Lande,
man hat eine großartige Gelegenheit, beste, ja erstklassige
Propaganda zu machen. Man kann das Ausland positiv beeindrucken,
man kann Zeit gewinnen für die Aufrüstung, wenn man noch schwach
ist. Und man muss sich entscheiden, ob man währenddessen
gleichzeitig weiterhin Juden verfolgt und all jene Vorteile damit
zunichte macht. Da muss man dann glasklare Prioritäten setzen. Man
lässt also eine Helene Mayer mittun, auch wenn sie dann nur die
Silbermedaille holt. Man muss sich auch sagen: Jawohl, dann verfolge
ich eben vierzehn Tage lang keine Juden. Oder meinetwegen auch
drei Wochen. Und wie dereinst galt es auch jetzt wieder, Zeit zu
gewinnen. Gewiss, ich hatte erste Zustimmung im Volke, ich hatte
einen gewissen Erfolg. Aber hatte ich bereits eine Bewegung hinter
mir? Ich brauchte und mochte Fräulein Krömeier. Und wenn Fräulein
Krömeier offenbar einen unerkannten Teil jüdischen Blutes in ihren
Adern hatte, dann galt es damit umzugehen.