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Briefwechsel mit Goethes Mutter:Trat ich aus dieser innern Anschauung hervor

时间:2025-02-05来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Briefwechsel mit Goethes Mutter
Trat ich aus dieser innern Anschauung hervor, so war ich geblendet; ich sah Träume, ich ging ihren Verhältnissen nach, das machte im gewöhnlichen Leben keinen Unterschied, in dies paßte ich ohne Anstoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu sag' ich es meinem Herrn, der den Segen hier über sein Kind sprechen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fähigkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge sah deutlich große Erscheinungen, so wie ich es zumachte; – ich sah die Himmelskugel, sie drehte sich vor mir in unermeßlicher Größe um, so daß ich ihre Gesetze nicht sah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geistigen Figuren, die ich als Geist begriff; es stellten sich Monumente auf von Säulen und Gestalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, sie wuchsen empor bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten sie vor einem höheren weißen Licht, und so zog in dieser Innenwelt eine Erscheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines silbernes Klingen, allmählich wurde es ein Schall, der größer war und gewaltiger, je länger ich ihm lauschte, ich freute mich, denn es stärkte mich, es stärkte meinen Geist, diesen großen Ton in meinem Gehör zu beherbergen; öffnete ich die Augen, so war alles nichts, so war alles ruhig, und ich empfand keine Störung, nur konnte ich die sogenannte wirkliche Welt, in der die andern Menschen sich auch zu befinden behaupten, nicht mehr von dieser Traum- oder Phantasiewelt unterscheiden; ich wußte nicht, welche Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich immer mehr, daß ich das gewöhnliche Leben nur träume, und ich muß es noch heute unentschieden lassen, und werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieses Schweben und Fliegen war mir gar zu gewiß; ich war innerlich stolz darauf und freute mich dieses Bewußtseins; ein einziger elastischer Druck mit der Spitze der Fußzehen – und ich war in Lüften; ich schwebte leise und anmutig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich berührte sie gleich wieder und flog wieder auf – und schwebte auf die Seite, von da wieder zurück; so tanzte ich im Garten im Mondschein hin und her, zu meinem unaussprechlichen Vergnügen; ich schwebte über die Treppen herab oder herauf, zuweilen hob ich mich zur Höhe der niedern Baumäste und schwirrte zwischen den Zweigen dahin; morgens erwachte ich in meinem Bett mit dem Bewußtsein, daß ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich's. – Ich schrieb an die Günderode, ich weiß nicht was, sie kam heraus nach Offenbach, sah mich zweifelhaft an, tat befremdende Fragen über mein Befinden, ich sah im Spiegel: schwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten sich unendlich verfeinert, die Nase so schmal und fein, der Mund geschwungen, eine äußerst weiße Farbe; ich freute mich und sah mit Genuß meine Gestalt, die Günderode sagte, ich sollte nicht so lang mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenige Tage verflossen, so hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und schlief und weiß auch nichts, als daß ich nur schlief; endlich erwachte ich und es war am vierzehnten Tag, nachdem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnet', sah ich ihre schwanke Gestalt im Zimmer auf- und abgehen und die Hände ringen; »aber Günderode«, sagt' ich, »warum weinst Du?« »Gott sei ewig gelobt«, sagt sie, und kam an mein Bett, »bist Du endlich wieder wach, bist Du endlich wieder ins Bewußtsein gekommen?« – Von der Zeit an wollte sie mich nichts Philosophisches lesen lassen, und auch keine Aufsätze sollte ich mehr machen; sie war fest überzeugt, meine Krankheit sei davon hergekommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Gestalt, die Blässe, die von meiner Krankheit zurückgeblieben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erschienen mir sehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrschten, und die anderen Gesichtsteile verhielten sich geistig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin schon die ersten Spuren einer Verklärung sich zeigten.
 
Hier hab' ich abgebrochen und hab' viele Tage nicht geschrieben; es stieg so ernst und schwer herauf, der Schmerz ließ sich nicht vom Denken bemeistern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchsetzen, das Ungeheure. Unterdessen hat man den Herbst eingetan, der Most wurde vom laubbekränzten Winzervolk unter Jubelgesang die Berge herabgefahren und getragen, und sie gingen mit der Schalmei voran und tanzten. O du – der du dieses liest, du hast keinen Mantel so weich, um die verwundete Seele drin einzuhüllen. Was bist du mir schuldig? – Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich dich die Hand in die Wunden legen lasse. – Wie kannst du mir vergelten? Du wirst mir nimmer vergelten; du wirst mich nicht locken und an dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirst du mich nicht herbergen, und der Sehnsucht wirst du keine Linderung gewähren; ich weiß es schon im voraus, ich werd' allein sein mit mir selber, wie ich heut' allein stand am Ufer bei den düstern Weiden, wo die Todesschauer noch wehen über den Platz, da kein Gras mehr wächst; dort hat sie den schönen Leib verwundet grad' an der Stelle, wo sie's gelernt hatte, daß man da das Herz am sichersten trifft; o Jesus Maria! – 
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