Mit solchen wunderbaren Lehren hat die Günderode die Unmündigkeit meines Geistes genährt. Ich war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner schwankenden Gesundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weise berührten mich denn solche Briefe? – Verstand ich ihren Inhalt? – Hatte ich einen Begriff von dem, was ich geschrieben hatte? Nein; ich wußte mir so wenig den Text meiner schriftlichen Begeistrungen auszulegen, als sich der Komponist den Text seiner Erfindungen begreiflich machen kann; er wirft sich in ein Element, was höher ist als er; es trägt ihn, es nährt ihn, seine Nahrung wird Inspiration, sie reizt, sie beglückt, ohne daß man sie sinnlich auszulegen vermochte, obschon die Fähigkeiten durch sie gesteigert, der Geist gereinigt, die Seele gerührt wird. So war es auch zwischen mir und der Freundin: die Melodien entströmten meiner gereizten Phantasie, sie lauschte und fühlte unendlichen Genuß dabei und bewahrte, was, wenn es mir geblieben wär', nur störend auf mich gewirkt haben würde; – sie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weissagungen nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich, und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geist war kühn, und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; – ich wollte schreiben, ich sah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußerlich vom Licht entfernen; am liebsten war mir, wenn ich die Fenster verhing und doch durchsah, daß draußen die Sonne schien; ein Blumenstrauß, dessen Farben sich durch die Dämmerung stahlen, der konnte mich fesseln und von der innern Angst befreien, so daß ich mich vergaß, während ich in die schattigflammenden Blumenkelche sah und Duft und Farbe und Formen gleichsam ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien, und die mir plötzlich den gebundenen Geist lösten, daß ich ruhig und gelassen das, was mir ahndete, fassen und aussprechen konnte; – indem ich den Blumenstrauß, der nur durch eine Spalte im Fensterladen erleuchtet war, betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war selbst ein Geist, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; – das erste, was ich durch sie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Göttliche erzeugt sei, daß Schönheit der göttliche Geist sei im Mutterschoß der Natur erzeugt; daß die Schönheit größer sei wie der Mensch, daß aber die Erkenntnis allein die Schönheit des freien Menschengeistes sei, die höher ist als alle leibliche Schönheit. – O, ich brauchte mich hier nur in den Brunnen niederzulassen, so könnte ich vielleicht wieder sagen alles, was ich durch die Gespräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenstraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr sagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt oder für Wahnsinn und Unsinn geachtet; – warum soll ich's aber hier verhehlen? Der's lesen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichtes beobachtet, wie sie durch Farbe und zufällige oder besondere Formen neue Erscheinungen bildeten. – So war's in meiner Seele damals, so ist es auch jetzt. Das große und scharfe Auge des Geistes war vom innern Lichtstrahl gefangen genommen, es mußte ihn einsaugen, ohne sich durch selbstische Reflexion davon ablösen zu können; der Freund weiß ja, was dieses Gebanntsein im Blick auf einen Lichtstrahl – Farbengeist – für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein ist, sondern Wahrheit. –