Frau Mutter, ich danke Ihr für die zwei Brief' hintereinander, das war einmal gepflügt, recht durch schweres Erdreich, man sieht's, die Schollen liegen nebenan, wie dick; gewiß, das sind der Lieschen ihre Finger gewesen, mit denen Sie die Furchen gezogen hat, die sind recht krumm. Was mich wundert, das ist, daß ich Ihr so gern schreib', daß ich keine Gelegenheit versäum', und alles, was mir begegnet, prüf' ich, ob es nicht schön wär' ihr zu schreiben, das ist weil ich doch nicht alles und fortwährend an den Wolfgang schreiben kann, ich hab' ihm gesagt in Weimar: wenn ich dort wohnte, so wollt' ich als nur die Sonn- und Feiertäg' zu ihm kommen und nicht alle Tag', das hat ihn gefreut; so mein' ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn schreiben darf, aber er hat mir gesagt: »Schreib alle Tag', und wenn's Folianten wären, es ist mir nicht zu viel«, aber ich selbst bin nicht alle Tag' in der Stimmung, manchmal denke ich so geschwind, daß ich's gar nicht schreiben kann, und die Gedanken sind so süß, daß ich gar nicht abbrechen kann, um zu schreiben, noch dazu mag ich gern grade Linien und schöne Buchstaben machen, und das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu sagen, was schwer auszusprechen ist, und manches hab' ich ihm mitzuteilen, was nie ausgesprochen werden kann; da sitz' ich oft Stunden und seh' in mich hinein und kann's nicht sagen, was ich seh', aber weil ich im Geist mich mit ihm zusammen fühl', so bleib ich gern dabei, und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr, die grad' nur die Zeit angibt, solang' die Sonne sie bescheint. Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen; es sollte einer sagen, ich leb', wenn er mich nicht mehr lieb hat; das Leben, was ich jetzt führ', davon hat keiner Verstand, an der Hand führt mich der Geist einsame Straßen, er setzt sich mit mir nieder am Wassersrand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf hohe Berge; da ist es Nacht, da schauen wir in die Nebeltale, da sieht man den Pfad kaum vor den Füßen, aber ich geh' mit, ich fühl', daß er da ist, wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verschwindet, und wo ich geh' und steh', da spür' ich sein heimlich Wandeln um mich, und in der Nacht ist er die Decke, in die ich mich einhülle, und am Morgen ist er es, vor dem ich mich verhülle, wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin ich allein, in meiner einsamen Stube fühl' ich mich verstanden und erkannt von diesem Geist; ich kann nicht mit lachen, ich kann nicht mit Komödie spielen, die Kunst und die Wissenschaft, die lasse ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt' ich Geschichte studieren und Geographie, es war Narrheit. Wenn die Zeit, in der wir leben, erst recht erfüllt wär' mit der Geschichte, so daß einer alle Hände voll zu tun hätt', um nur der Geschichte den Willen zu tun, so hätt' er keine Zeit, um nach den vermoderten Königen zu fragen, so geht mir's, ich hab' keine Zeit, ich muß jeden Augenblick mit meiner Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, so hab' ich einen Strich gemacht mit roter Tinte auf die Landkart'. Der geht, von wo ich bin bis dahin, wo es mich hinzieht, das ist der rechte Weg, alles andre sind Irr- und Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne, Mond und Sterne gehören bloß zur Aussicht meiner Heimat. Dort ist der fruchtbare Boden, in den mein Herz die harte Rinde sprengt und ins Licht hinaufblüht.
Die Leute sagen: Was bist du traurig, sollt' ich vergnügt sein? – Oder dies oder jenes? – Wie paßt das zu meinem innern Leben? Ein jedes Betragen hat seine Ursache, das Wasser wird nicht lustig dahin tanzen und singen, wenn sein Bett nicht dazu gemacht ist. So werd' ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Lust der Grund dazu ist; ja ich habe Lust im Herzen, aber sie ist so groß, so mächtig, daß sie sich nicht ins Lachen fügen kann, wenn es mich aus dem Bett aufruft vor Tag und ich zwischen den schlafenden Pflanzen bergauf wandle, wenn der Tau meine Füße wäscht und ich denk' demütig, daß es der Herr der Welten ist, der meine Füße wäscht, weil er will, ich soll rein sein von Herzen, wie er meine Füße vom Staub reinigt; wenn ich dann auf des Berges Spitze komme und übersehe alle Lande im ersten Strahl der Sonne, dann fühl' ich diese mächtige Lust in meiner Brust sich ausdehnen, dann seufz' ich auf und hauch' die Sonne an zum Dank, daß sie mir in einem Bild erleuchte, was der Reichtum, der Schmuck meines Lebens ist, denn was ich sehe, was ich verstehe, es ist alles nur Widerhall meines Glückes.
Adieu, läßt Sie sich den Brief auch vom Pfarrer vorstudieren? – Ich hab' ihn doch mit ziemlich großen Buchstaben geschrieben. Hat dann in meinem letzten Brief etwas gestanden, daß ich so einen heißen Durst hab', und daß ich mondsüchtig bin, oder so was? – Wie kann Sie ihm denn das lesen lassen? Sie wirft ihm ja seinen gepolsterten Betschemel um, in seinem Kopf. Die Bettine hat Kopfweh schon seit drei Tage, und heut' liegt sie im Bett und küßt ihrer Frau Rat die Hand.