Die Beschreibung von Deinen Prachtstücken und Kostbarkeiten hat mir recht viel Pläsier gemacht; wenn's nur auch wahr ist, daß Du sie gesehen hast, denn in solchen Stücken kann man Dir nicht wenig genug trauen. Du hast mir ja schon manchmal hier auf Deinem Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn wenn Du, mit Ehren zu melden, ins Erfinden gerätst, dann hält Dich kein Gebiß und kein Zaum! – Ei, mich wundert's, daß Du noch ein End' finden kannst und nicht in einem Stück fortschwätzst, bloß um selbst zu erfahren, was alles noch in Deinem Kopf steckt. Manchmal mein' ich aber doch, es müßt' wahr sein, weil Du alles so natürlich vorbringen kannst. Wo solltest Du auch alles herwissen? Es ist aber doch kurios, daß die Kurfürsten immer mit Fisch und Wassernymphen zu tun haben; auf der Krönung hab' ich in den Silberkammern auch solche Sachen gesehen, da war ein Springbrunnen von Silber mit schönen Figuren, da sprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die Tafel gestellt. Und einmal hat der Kurfürst von der Pfalz ein Fischballett aufführen lassen, da tanzten die Karpfen, prächtig in Gold und Silberschuppen angetan, aufrecht einen Menuett. Nun, Du hast das alles allein gesehen, solche Sachen, die man im Kopf sieht, die sind auch da und gehören ins himmlische Reich, wo nichts einen Körper hat, sondern nur alles im Geist da ist.
Mach' doch, daß Du bald wieder herkommst, Du hast den ganzen Sommer verschwärmt, mir ist es gar nicht mehr drum zu tun mit dem Schreiben, und ich hab' Dich auch solange nicht gesehen, es verlangt mich recht nach Dir,
Deine wahre Herzenfreundin
Goethe.
An Goethes Mutter.
Frau Rat, den ganzen Tag bin ich nicht zu Haus', aber wenn ich an Sie schreib', dann weiß ich, daß ich eine Heimat habe; es ist die Zeit, daß die Leut' Feldgötter im Weinberg aufstellen, um die Sperlinge von den Trauben zu scheuchen; heut' morgen konnt' ich nicht begreifen, was für ein wunderbarer Besuch sich so früh im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Nebel schimmerte; ich dachte erst, es wär' der Teufel, denn er hat einen scharlachroten Rock und schwarze Unterkleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen und zwar so sehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis ans Wasser ging, wie ich jeden Abend tue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbestellt hätte, so würd' ich wohl nichts von Furcht gespürt haben; ich ging also noch einmal und glücklich an dem Lumpengespenst vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die stille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl als dem stillen ruhigen Abend, in dem mein Andenken ihm einen freundlichen Besuch macht und er sich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kindischen Gedanken bei ihm anlande? Was ich in so einsamer Abendstunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauscht, denke, das kann Sie sich am besten vorstellen, da wir es tausendmal miteinander besprochen haben, und haben so viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir miteinander zu ihm gereist kämen, das denk' ich mir immer noch aus. – Damals hatte ich ihn noch nicht gesehen, wie Sie meiner heißen Sehnsucht die Zeit damit vertrieb, daß Sie mir seine freudige Überraschung malte, und unser Erscheinen unter tausenderlei Veränderungen; – jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt und den Ton seiner Stimme, wie die so ruhig ist und doch voll Liebe, und seine Ausrufungen, wie die so aus dem tiefen Herzen anschwellen, wie der Ton im Gesang; und wie er so freundlich beschwichtigt und bejaht, was man im Herzensdrang unordentlich herausstürmt; – wie ich im vorigen Jahr so unverhofft wieder mit ihm zusammentraf, da war ich so außer mir, und wollte sprechen und konnte mich nicht zurechtfinden; da legt' er mir die Hand auf den Mund und sagt': »Sprech' mit den Augen, ich versteh' alles«; und wie er sah, daß die voll Tränen standen, so drückt' er mir die Augen zu und sagte: »Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden am besten;« – ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegossen, ich hatte ja alles, wonach ich seit Jahren mich einzig gesehnt habe. – O Mutter, ich dank' es Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in die Welt geboren, – wo sollt' ich ihn sonst finden! Lach' Sie nicht darüber, und denk' Sie doch, daß ich ihn geliebt hab', eh' ich das Geringste von ihm gewußt, und hätt' Sie ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wär', das ist doch die Frage, die Sie nicht beantworten kann.