Viele tausend Menschen starben in Sri Lankas Bürgerkrieg. Seit 2009 ist er offiziell beendet. Seither versuchen Politik und Gesellschaft, die geschehenen Grausamkeiten einfach zu vergessen.
Offiziell endete der Bürgerkrieg in Sri Lanka am 19. Mai 2009. Ein richtiger Versöhnungsprozess hat danach jedoch nicht begonnen. Derzeit konzentriert sich das Land mehr auf seine Wirtschaft als auf die Aufklärung der Verbrechen. Man will vor allem die Infrastruktur verbessern und Investoren anziehen.
Der Konflikt zwischen der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen und den hinduistischen Tamilen begann schon in der Kolonialzeit. Damals wurden meist Tamilen, die traditionell eine sehr gute Bildung hatten, in der Verwaltung beschäftigt. Daher identifizierten die Singhalesen sie mit der englischen Kolonialmacht. Nach der Unabhängigkeit 1948 forderten Singhalesen, sowohl Englisch als auch die Sprache Tamil aus der öffentlichen Verwaltung zu verbannen.
Die vor allem im Norden Sri Lankas lebenden Tamilen protestierten dagegen und verlangten eine Gebietstrennung. Und so begann 1983 ein blutiger Bürgerkrieg, der fast 30 Jahre lang dauern sollte. Viele Zivilisten starben, zuletzt bei Luftangriffen der singhalesischen Regierungsarmee 2009. Auch die andere Seite verübte Grausamkeiten. So wurde der LTTE – der Organisation, die für die Unabhängigkeit der Tamilen im Norden des Landes kämpfte – vorgeworfen, Menschen als lebende Schutzschilde missbraucht zu haben. Im Jahr 2009 setzten sich die Truppen der Regierung durch, und die Anführer und viele Kämpfer der LTTE wurden getötet.
Allein in den letzten Kriegsmonaten starben etwa 40.000 Menschen. Radu Carciumaru von der Universität Heidelberg vergleicht die Situation Sri Lankas mit der Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Dort galt das Prinzip „Vergeben, aber nicht vergessen“. In Sri Lanka, so Carciumaru, heißt es heute hingegen: „Vergeben und vergessen“. Eine richtige Aufarbeitung findet bisher nicht statt.
Glossar
Grausamkeit, die – eine Handlung, mit der jemand andere quält oder tötet
Versöhnungsprozess, der – das (eine längere Zeit dauernde) Beenden eines Streits
Infrastruktur, die – hier: Kommunikations- und Verkehrswege, Leitungen für die Versorgung mit Energie und Wasser etc. in einem Land
Investor, der – jemand, der die Herstellung von Produkten finanziert
jemanden anziehen – hier: dafür sorgen, dass jemand kommt
Kolonialzeit, die – die Zeit, in derein Land politisch und wirtschaftlich nicht frei war, sondern von einem anderen Land regiert wurde (hier: bis 1948)
jemanden mit etwas identifizieren – jemanden gedanklich mit etwas verbinden
Kolonialmacht, die – ein Land, das ein anderes beherrscht und ausnutzt
Unabhängigkeit, die – hier: die Tatsache, dass ein Staat alleine Entscheidungen trifft; die Autonomie
etwas aus etwas verbannen – hier: verbieten, dass etwas genutzt wird
Zivilist/in, der/die – jemand, der nicht der Armee angehört
Luftangriff, der – ein militärischer Angriff mit Flugzeugen
etwas verüben – etwas tun
jemandem etwasvorwerfen – jemanden für etwas kritisieren
lebende Schutzschild, das – ein Mensch, der an einen bestimmten Ort geschickt wird, damit die Feinde diesen Ort nicht angreifen
jemanden missbrauchen – jemanden für etwas benutzen
jemand setztsich durch – jemand gewinnt
Anführer/in, der/die – jemand, der eine Gruppe leitet
Prinzip, das – hier: der Grundsatz; eine Art Regel, wie man sich verhält
jemandem vergeben – jemandem nicht mehr böse sein
Aufarbeitung, die – die Tatsache, dass man über etwas nachdenkt und spricht