Mehr als zehn Jahre nach Ende der Kriege gilt der Kosovo wieder als sicher. Deswegen müssen viele Flüchtlinge zurückkehren. Dies gilt sogar für Angehörige von Minderheiten, die dort noch heute diskriminiert werden.
Ardian Canaj fühlt sich fremd in seiner neuen Heimat. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, wurde aber nun im Alter von 20 Jahren in den Kosovo – die Heimat seiner Eltern – abgeschoben. Jetzt lebt er in einem Armenviertel im Westen des Kosovo. Er erzählt: "In Deutschland bin ich in die Schule gegangen, doch hier ist damit Schluss. Ich muss arbeiten, um meine Miete zu zahlen".
Nach den Jugoslawienkriegen und dem Kosovokrieg in den 1990er Jahren gilt der Kosovo, das ärmste Land Europas, heute wieder als sicher. Deswegen schiebt Deutschland die Flüchtlinge mittlerweile wieder ab. Besonders für Kinder und Jugendliche hat das schlimme Folgen: Im Kosovo leben sie in Armut und Einsamkeit, und die meisten sprechen kaum Albanisch.
Seit 2010 werden auch Angehörige von ethnischen Minderheitenin den Kosovo abgeschoben – darunter 6000 Kinder und Jugendliche. Ardian gehört zur Minderheit der Kosovo-Ägypter. Genau wie Angehörige der Roma und Aschkali nennen Serben und Albaner sie abfällig "Zigeuner". Kurz nach dem Krieg vertrieben die Albaner Angehörige aller drei Volksgruppen. Man warf ihnen vor, mit den Serben kollaboriert zu haben. Aus diesem Grund werden Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter noch heute im Kosovo diskriminiert.
Wie stark gerade Kinder unter der Abschiebung leiden, zeigt die Studie "Stilles Leid" der Kinderhilfsorganisation UNICEF. Forscherin Verena Knaus erklärt: "Wir haben Kinder, (…) die sich sogar mit konkreten Selbstmordgedanken quälen: Eines von vier will sich das Leben nehmen." UNICEF fordert jetzt, dass auf eine Abschiebung von Kindern und Jugendlichen verzichtet werden soll, wenn diese ihre psychische und körperliche Gesundheit beschädigt. Für Ardian kommt das zu spät. Er sagt: "Ich würde alles darum geben, um nach Deutschland zurückzukehren. Denn dort habe ich mein ganzes Leben zurückgelassen."
Glossar
Flüchtling, der – jemand, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung verfolgt wird und daher Schutz in einem andere
Land sucht
Angehörige, der/die – hier: jemand, der zu einer bestimmten Gruppe gehört
Minderheit, die – hier: eine kleine Volksgruppe, die sich von den anderen im Staat durch ihre Sprache und Kultur unterscheidet
jemanden diskriminieren – jemanden schlecht behandeln, weil er anders ist
aufwachsen – groß werden; seine Kindheit verbringen
jemanden abschieben – jemanden in seine Heimat zurückschicken (Substantiv: die Abschiebung)
Jugoslawienkriege, die (meist im Plural) – Kriege in den 1990er Jahren in Jugoslawien, die zum Zerfall des Landes führten
Kosovokrieg, der – Krieg in den Jahren 1998 und 1999, in dem Albaner für die Unabhängigkeit des Kosovo vom damaligen Jugoslawien kämpften
Albanisch – die Sprache der Albaner, die größte Volksgruppe des Kosovo
ethnisch – zu einer Volksgruppe gehörend
abfällig – so, dass man seine schlechte Meinung über etwas/jemanden ausdrückt; mit Verachtung
jemanden vertreiben – jemanden verjagen; jemanden zwingen, einen Ort zu verlassen
mit jemandem kollaborieren – mit dem Feind in einem Krieg zusammenarbeiten
sich das Leben nehmen – sich selbst töten
alles darum geben – bereit sein, alles für etwas zu tun