Darf man das - Gott mit prächtigen Pobacken darstellen? Michelangelo nahm sich das Recht dazu heraus. Am 31. Oktober 1512 vollendete er das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle in Rom.
"Ich beginne heute mit der Arbeit!" Nichts an der nüchternen Notiz von 1508 weist darauf hin, was für ein atemberaubendes Werk Michelangelo in Angriff nimmt. Der Auftrag für das Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle ist ihm höchst unwillkommen. Schließlich versteht er sich als Bildhauer - seine wahre Liebe gehört dem Marmor: Er ist alles andere als scharf darauf, Schlägel und Eisen aus der Hand zu legen und stattdessen den Pinsel zu schwingen. Und jetzt soll er das Höchste ausmalen, was die Christenheit zu bieten hat, die Cappella Sistina. Papst Julius II. besteht darauf.
Putz rieselt in die Augen
Michelangelo hat hoch gepokert und sich vom Papst arg bitten lassen. Doch er hätte es auch leichter haben können: Julius wäre schon zufrieden gewesen, hätte er die 12 Apostel in die Lünetten über die Fenster gepinselt und ein bisschen Deckendekoration hinzugefügt. Das Übliche. Nichts Außergewöhnliches. Doch Michelangelo erscheint die Idee kümmerlich, "povera". Durchschnittliches zu schaffen, das widerstrebt ihm zutiefst. Und so macht sich der Steinkünstler gegen seinen erklärten Willen an ein unendlich mühevolles Werk.
In dem flachen Tonnengewölbe soll in 20 Metern Höhe Gottes Schöpfung erstrahlen - der Mensch, wie er leibt und lebt - also nackt. Michelangelo beginnt die Genesis von hinten: Von der Trunkenheit Noahs und der Sintflut arbeitet er sich langsam vor in Richtung Altar - hin zum ersten Schöpfungstag.
Doch was für eine Mühsal: Das Gewölbe ist wegen seiner Krümmung nur schwer auszumalen - und hoch oben auf seinem Gerüst muss Michelangelo sich schmerzhaft verrenken: Den Rücken im Hohlkreuz, den Arm weit nach oben gestreckt, malt er über Kopf - Putz rieselt ihm in die Augen, Farbe tropft in seinen langen Bart. Doch Michelangelo will keine Gehilfen. Selbst Besucher bringen ihn in Rage - wenn der Heilige Vater den Fortschritt am Firmament inspizieren möchte, wird er brüsk vom Gerüst hinunter komplimentiert.
Die Herrlichkeit Gottes ist allein Michelangelos Sache.
Gott wirbelt
Und was wird das für ein außergewöhnlicher Himmel: Mit wehendem Haar und flatterndem Bart rauscht Gottvater durch die Wolken. Ein Herr mit durchtrainiertem Bizeps und kräftigen Oberschenkeln - gehüllt in ein hauchdünnes, rosarotes Gewand. Mit vollem Körpereinsatz wirbelt er von einem Schöpfungstag zum nächstem, sucht Adams Fingerkuppe, trennt Wasser und Erde, weist Sonne und Mond ihre Plätze zu. Mal stürzt er kopfüber auf den Betrachter zu, mal zeigt er, eilig davoneilend, die blanken Fußsohlen - ein Herrgott so plastisch, als schlüge Michelangelo ihn aus dem Marmor heraus. Doch bei so viel himmlischem Wirbel kann es auch passieren, dass die Kleidung verrutscht. Einmal klafft das purpurne Manteltuch auf - sichtbar wird ein wohlgeformtes Hinterteil!