Karl Benjamin Preusker stammte aus kleinen Verhältnissen und war schon als Kind von einer ungeheuren Lesewut besessen. Am 24. Oktober 1828 eröffnete er die erste deutsche Volksbibliothek.
Wer hätte das gedacht, dass die Römer nicht nur brutale Eroberer waren, sondern auch feinsinnige Bücherfreunde? 29 öffentliche Bibliotheken zählte man in Rom im vierten Jahrhundert, und sie wurden von der vornehmen Gesellschaft lebhaft frequentiert. Auch in Athen soll der erstaunlich reformfreudige Tyrann Peisistratos so eine Lesehalle eingerichtet haben. Die Klöster des Mittelalters, die Fürsten und Päpste der Renaissance unterhielten gewaltige Bibliotheken - Papst Nikolaus V. etwa kaufte dreitausend Handschriften zusammen - allerdings nur für ihre privaten Zwecke. Anders die 1370 entstandene Nürnberger Ratsbibliothek oder Anfang des 17. Jahrhunderts die Mailänder Biblioteca Ambrosiana und die Bodleian Library in Oxford, die alle öffentlich zugänglich waren.
Räuberromane, Ortschroniken, Altpapier
Bis in Deutschland, dem angeblichen Königreich der Dichter und Denker, eine richtige Volks- und Leihbibliothek gegründet wurde, mussten allerdings nochmal zwei Jahrhunderte vergehen, und an ihrer Wiege stand kein Monarch oder Klosterabt, sondern ein bienenfleißiger sächsischer Beamter namens Karl Benjamin Preusker. Aus kleinen Verhältnissen hatte er sich hochgearbeitet und schon früh eine sagenhafte Lesewut entwickelt. Räuberromane, Ortschroniken, Altpapier - er las, was ihm in die Finger kam, und begann als Zwölfjähriger systematische Verzeichnisse seiner Lektüre mit kritischen Beurteilungen anzulegen. Er machte eine Buchhändlerlehre, lernte Karten zu zeichnen, sammelte unermüdlich Münzen, Muscheln, Mineralien.
Als es ihn zum Militär verschlug, machte sich Preusker als Buchhalter, Büroorganisator und Wirtschaftsfachmann unentbehrlich. Er arbeitete so flink und effektiv, dass man ihm erlaubte, nebenher an der Universität Leipzig zu studieren - natürlich zahllose Fächer auf einmal. 1824 quittierte er den Militärdienst und wurde Königlicher Rentamtmann - heute würde man Finanzinspektor sagen - im Städtchen Großenhain im Landkreis Meißen.
Vaterländische Altertümer
Als genialer Organisator mit ausgetüftelten Ablage- und Karteisystemen erübrigte er genug Zeit, um wie ein Besessener nach prähistorischen Überresten zu graben, ein Grundlagenwerk zur Erforschung der "vaterländischen Altertümer" zu schreiben und als Mitglied von exakt 21 Geschichts- und Altertumsvereinen eine emsige Tätigkeit zu entfalten. In Großenhain hob er eine gern besuchte Sonntagsschule für Lehrlinge, einen Gewerbeverein und einen Lesezirkel aus der Taufe; aus dem Lesezirkel ging die etwas hochtrabend so genannte "Vaterländische Bürger-Bibliothek" hervor, die erste deutsche Volksbücherei im modernen Sinn, die jedem Interessierten kostenlos offen stand. Zunächst lebte sie von den bildungshungrigen Mitgliedern des Lesezirkels, die Biografien, Reiseberichte, naturwissenschaftliche und historische Werke, aber auch Romane kauften und der Volksbibliothek stifteten, wenn sie alle im Zirkel gelesen hatten.