Es war eine technische Meisterleistung - am 10. September 1586 gelang es Domenico Fontana, den Obelisken auf dem Petersplatz in Rom zu errichten. Wären die Seile gerissen - nicht auszudenken für den Auftraggeber Papst Sixtus V.
Ein solches Schauspiel haben die Römer noch nicht erlebt: Was Rang und Namen hat, ist an diesem 10. September 1586 am Petersplatz versammelt. Dicht gedrängt sitzen die Menschen auf Holztribünen um den Platz herum, während sie gebannt auf dessen Mitte starren. Dort soll gleich ein gewaltiger Obelisk aufgerichtet werden. Noch liegt der Koloss auf einer langen Rampe, über deren Mitte ein Holzturm errichtet ist. In den soll der Obelisk nach oben gezogen werden. 25 Meter ist er hoch, über 300 Tonnen schwer. Die Seile, bis zu 220 Meter lang, verlaufen vom Koloss über die Turmspitze, herunter auf den Platz, wo sie gleich über 40 Flaschenzüge und Winden, alle von mehreren Pferden gedreht, angezogen werden. Mehr als 900 Männer sind beteiligt. Dann ertönt das Signal der Trompete. Sofort klingt schweres Ächzen aus Gebälk und Winden, die Pferde fangen an zu ziehen.
Schreien verboten - bei Todesstrafe
Kein Laut ist aus dem Publikum zu hören. Bei Todesstrafe hat der Papst den Schaulustigen verboten, sich bemerkbar zu machen. Nichts darf die Anweisungen des Architekten Domenico Fontana stören, des Ingenieurs des großen Schauspiels. Werden die Seile halten? Werden sie reißen? Wenn sie reißen - nicht auszudenken! Der Ruf des Papstes steht auf dem Spiel - und nicht nur der!
Doch zunächst - wie ist der Obelisk überhaupt nach Rom gekommen, denn natürlich sind Obelisken eine Erfindung der alten Ägypter. Und tatsächlich kommt auch dieses Riesenexemplar ursprünglich aus einem ägyptischen Steinbruch. Der römische Kaiser Caligula hat ihn mit einem extra dafür gebauten Schiff nach Rom schaffen lassen. Dort heil angekommen stand er seitdem als triumphales Zeichen seiner Macht in seinem Zirkus jenseits des Tibers. Später, zu Zeiten Neros, soll in diesem Zirkus der heilige Petrus hingerichtet worden sein. Der Obelisk galt somit als stummer Zeitzeuge des Martyriums Petri. Und so stand er unverrückt an seinem Platz - bis er Jahrhunderte später dem Neubau des Petersdoms in die Quere kam.
Steinerner Zeitzeuge des Martyriums
Das ist der Moment, in dem Papst Sixtus V. ein Zeichen setzen will. Der Zeuge von Petrus´ Ende soll mitten auf dem neuentstehenden Petersplatz aufgestellt werden. Also muss der Obelisk umgelegt, eine kurze Strecke transportiert und wieder aufgerichtet werden. Das größte Risiko besteht am 10. September, am Tag, wenn der Koloss wieder aufgerichtet werden muss. Und das Risiko ist gewaltig. Reißen die Seile, bricht der Zeitzeuge direkt vor dem großartigen Neubau des Petersdoms entzwei. Was wäre das für eine Niederlage für die katholische Kirche! Jetzt, wo Sixtus beweisen will, dass sich Rom von den schweren Krisen erholt hat, in die es mit dem Aufkommen des Protestantismus geraten war!
Dann also das Trompetensignal. Die Pferde ziehen, die Winden ächzen. Doch plötzlich ein Schrei aus dem Publikum! Ein Seemann aus Ligurien verliert die Nerven. Ihm ist, als würden die Seile schon qualmen. Trotz drohender Todesstrafe schreit er: „Wasser auf die Seile!“, und tatsächlich kühlt man sie sofort mit Wasser.
Bis heute steht der Obelisk an seinem Platz. Papst Sixtus hat nach diesem Erfolg noch mehr alte Obelisken umgestellt, als geistliche Wegmarken für ein neues Rom. Und der Seemann aus Ligurien? - Er wurde nicht hingerichtet. Er bekam den Ehrentitel "Kapitän" und seine Familie das Privileg, künftig als "päpstliche Hoflieferanten" für Palmzweige zu firmieren. Den Titel sollte die Familie erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil verlieren, in den 1960er-Jahren.