Am 9. September 1990 fingen ehrgeizige Geologen an, in Windischeschenbach in der Oberpfalz das tiefste Loch der Welt zu bohren. Grund genug, sich ein paar philosophische, präziser: lochologische Fragen zu stellen.
Ein Loch ist immer da, wo etwas nicht ist. Das wusste schon Kurt Tucholsky, einer der größten Lochologen aller Zeiten. Tucholsky war es auch, der 1931 die geniale Frage stellte, wo eigentlich ein Loch bleibt, wenn es zugestopft wird. Leider hat uns der Meister der philosophischen Tiefenbohrung diese Frage nicht gleich selbst beantwortet. Weshalb wir gezwungen sind, sie aufs Neue zu stellen. Und zwar ganz konkret so: Was ist eigentlich aus dem einst tiefsten Bohrloch der Erde im ostbayerischen Windischeschenbach geworden? Dort fingen am
9. September 1990 ehrgeizige Geologen an, ein Loch in unsere schöne Oberpfalz hinein zu bohren. Sie taten das mehr als vier Jahre lang und erreichten so immerhin eine Tiefe von 9.101 Metern. Das war Weltrekord! Freilich nur für ein paar Jahre, dann kam schon die nächste spektakuläre Tiefenbohrung auf der Kola-Halbinsel, mit über 12 Kilometern Tiefe.
Lochologie in Windischeschenbach
Aber solche geologischen Rekordjagden sollen uns hier nicht ablenken von unserem eigentlichen philosophischen Grundproblem, das da lautet: Hatte Tucholsky recht, wenn er vermutete, dass sich ein Loch nach seiner Zustopfung seitwärts in die Materie hineindrückt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass es nach unten wegtaucht, gemäß dem alten Grundsatz: "Entscheidend ist, wo man hinten rauskommt." Zum Beispiel auf der anderen Seite der Erde, was im Fall von Windischeschenbach ungefähr südöstlich von Neuseeland wäre; also mitten im Südpazifik. Unser Bohrloch wäre dort unter Umständen jämmerlich abgesoffen. Und niemand hätte was bemerkt. Eine traurige Theorie.
Vielleicht hatte aber doch Tucholsky recht, und das Loch wurde tatsächlich seitwärts in die Materie hineingedrückt. Dann würde es heute noch irgendwo bei Windischeschenbach herum vagabundieren. Diese Theorie passt auch gut zu Tucholskys zweitem lochologischen Grundsatz, demzufolge das Merkwürdigste an einem Loch immer sein Rand ist. In diesem Fall also Windischeschenbach selbst; das ja seit jeher als schwarzes Loch gilt.
Man muss das jetzt nicht unbedingt politisch verstehen. Schwarze Löcher gibt es in allen möglichen Lebensbereichen. Wer zum Beispiel mit Pubertierenden zusammen lebt, kennt das Phänomen. Plötzlich entstehen irgendwo in der gemeinsamen Wohnung solche schwarzen Löcher, in denen Gegenstände einfach verschwinden - Schulbücher, Socken, Bananenschalen, Pfandflaschen und dergleichen mehr. In der Regel tauchen sie nie wieder auf.
Astronomisch betrachtet sind solche schwarzen Löcher übrigens Objekte, an deren Oberfläche die Schwerkraft so stark ist, dass nichts diese Objekte je verlassen kann. Mit anderen Worten: Unser Loch wäre gefangen in Windischeschenbach! Einmal Oberpfalz, immer Oberpfalz!
"Loch Mess" in der Oberpfalz
Wer jetzt glaubt, dies sei nur eine "locherliche Lochnummer", der möge doch einfach mal selbst anrufen beim Geo-Zentrum in Windischeschenbach, um dort zu erfahren, dass die Hauptbohrung von 9.101 Metern heute noch in voller Tiefe zugänglich ist. Sie wird von Geoforschern aus Potsdam genutzt - als Messobservatorium. Die frohe Botschaft lautet also: "Loch Mess lebt!" Und zwar in der Oberpfalz! Na klar, wo denn sonst!