Das 20. Jahrhundert beginnt ungewöhnlich früh - am 23. September 1884. Da meldet der Amerikaner Herman Hollerith seine Lochkartenmaschine zum Patent an. Ahnungslos schickt er damit die Menschheit ins digitale Zeitalter.
Loch oder "Nicht-Loch" - das kann entscheidend sein. Und dabei geht es nicht mal um Philosophie, sondern um ein Problem mit weitreichenden, sogar weltweiten Konsequenzen. Ein Beispiel dafür war die amerikanische Präsidentenwahl im Jahr 2000. Damals hatten fehlerhaft gestanzte Lochkarten für internationale Verwirrung am Wahlabend gesorgt. Wer der 43. Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte, Al Gore oder George W. Bush, das hing sage und schreibe von der Definition eines Lochs auf einem Pappkarton ab: Gilt nur ein vollständig gestanztes Loch als gültige Wahlstimme? Und wie wird verfahren, wenn das Loch lediglich eingerissen oder nur eingedellt ist? Loch ist eben nicht gleich Loch, und bestimmte Löcher lösen weltpolitische Debakel aus. Zu diesem Schluss mag auch Al Gore gekommen sein, der in Florida zunächst als Wahlsieger gefeiert und dann auf den zweiten Platz verwiesen worden war.
Randbeobachtung auf einem amerikanischen Provinzbahnhof
Die Idee, einen Karton mit aussagekräftigen Löchern zu versehen, stammt von Herman Hollerith. Der Amerikaner und Sohn deutscher Einwanderer schuf Ende des 19. Jahrhunderts einen ersten Datenträger, der maschinell gelesen und als Speichermedium verwendet werden konnte. Das Potential von Löchern - nämlich zu einer beliebig miteinander kombinierbaren Datenansammlung zu werden - erkannte der junge Ingenieur angeblich, als er einem Zugschaffner bei der Arbeit zusah: beim Abknipsen von Fahrkarten. Ohne diese Randbeobachtung auf einem amerikanischen Provinzbahnhof wäre Herman Hollerith womöglich Zeit seines Lebens ein unbedeutender Beschäftigter beim amerikanischen Volkszählungsamt geblieben. Stattdessen wurde er "Loch-Experte". Und meldete eine ebenso legendäre wie voluminöse Apparatur am 23. September 1884 zum Patent an.
Zentrales Element der sogenannten Hollerith-Maschine ist ein mechanisches "Lochkarten-Erfassungsgerät". Es zieht eine Karte nach der anderen ein und tastet sie mit von oben auf den Karton gesetzten Stiften ab: Je nachdem, welche Kontakte durch die vorgestanzten Löcher geschlossen werden, setzt sich ein Zählwerk in Gang. Nach dem Prinzip "gelocht" oder "nicht-gelocht" wird eine Information hinterlegt und die Lochkarte dann in einem Sortierkasten verstaut.
Loch oder Nicht-Loch
Bei der großen amerikanischen Volkszählung von 1890 kann die Hollerithsche Zählmaschine zum ersten Mal zeigen, was sie kann: Während es bis dahin buchstäblich Jahre gedauert hatte, die Daten von über 60 Millionen Amerikanern per Hand auszuwerten, liegen die Ergebnisse nun schon nach wenigen Monaten vor. Mit seiner rasanten Auszählungsmethode geht Herman Hollerith als Begründer der maschinellen Datenverarbeitung in die Geschichte ein. Und sein binäres Prinzip "Loch oder Nicht-Loch", also "Ja" oder "Nein", wird Jahrzehnte später die Grundlage des digitalen Computerzeitalters sein.
Doch bis es soweit ist, muss - wer immer immense Datenmengen möglichst schnell erfassen, auswerten und verwalten will - mit der Lochkarten-Zählmaschine vorlieb nehmen. Das 20. Jahrhundert entwickelt seinen ganz eigenen, typischen Bedarf. Zum Beispiel Adolf Hitler: Mit dem Hollerith-Apparat katalogisierte, zählte und klassifizierte das NS Regime seine Opfer. Oder Alfred Kinsey, der Vater der berüchtigten Sex-Reports: Die intimen Informationen zum Liebesleben von Zehntausenden von Amerikanern speicherte er - auf Lochkarten.